Am 21.3.2024 referierte Sigrid Herrmann im Kompetenznetzwerk der Frauenheldinnen zum Thema „Müde und durstig im Klassenzimmer – Wenn Ramadan auf Schulalltag trifft. Hintergrund und Handlungsempfehlungen.“
Fragen & Antworten im Gespräch mit Sigrid Herrmann
FrauenheldinnenMagazin (FHM): Sigrid, Schüler, die vor Schlafmangel kaum dem Unterricht folgen können, weil sie tags gefastet und nachts gefeiert haben – haben wir das dem Ramadan zu verdanken? Und kannst du uns erläutern, was Ramadan überhaupt ist?
Sigrid Herrmann (SH): Als Ramadan wird der neunte Monat des muslimischen Jahres begangen, weil in ihm der Überlieferung nach der Koran offenbart wurde. Gefastet wird im Gedenken an diese Überlieferung, dies ist als Gebot im Koran niedergelegt. Da das islamische Jahr dem Mondkalender folgt, verschiebt sich der Beginn jedes Jahr um einige Tage nach vorne. Dies kommt durch die unterschiedliche Jahreslänge (354 bzw. 365 Tage) zustande.
Traditionalisten bestimmen den Beginn nach der Sichtung der Mondsichel, modernere Strömungen berechnen den Beginn. Vorgegeben ist, dass in der Zeit, in der man einen schwarzen von einem weißen Faden unterscheiden kann (Tageslicht), weder gegessen noch getrunken wird und auch viele weitere Tätigkeiten unterlassen werden. Die normalen Lebenstätigkeiten werden also in die Nacht verschoben.
Während es bis vor einiger Zeit eher ein Einzel- und Randphänomen war, ist zunehmend zu beobachten, dass auch Kinder und Jugendliche fasten und auch anderen Schülern diesbezüglich Vorschriften machen wollen. Das schwappt also lokal in die Schulen und andere Orte, an denen Menschen zusammenkommen.
FHM: Stichwort Hereinschwappen: Was erleben die Ramadan feiernden Schülerinnen und Schüler? Stichwort Fasten oder Wachbleiben
(SH): Da das Zusammenkommen mit Nichtmuslimen meist tagsüber ist, wird das Fasten stärker wahrgenommen als die anderen Aspekte des Ramadan. Zugleich ist der Ramadan auch die Zeit, in der muslimische Familien zusammenkommen und täglich nach Sonnenuntergang gemeinsam das Fasten brechen.
Praktizierende Muslime müssen also tagsüber trotz Fasten ihre Pflichten erfüllen und nachts dann nicht nur sozusagen auf Vorrat essen und vor allem trinken, sondern auch nachts mit der Familie feiern. Das ist, wenn der Ramadan in den Winter mit langen Nächten fällt, leichter zu leisten als im Hochsommer. Der Tag- und Nacht-Rhythmus wird also faktisch komplett umgekehrt. Das schafft eine erhebliche Tagesmüdigkeit, ähnlich wie bei Schichtarbeitern.
FHM: Das kollidiert ja offensichtlich mit einem normalen Schulablauf, erst Recht, wenn Schüler wegen des Fastens dehydriert und hungrig sind. Ist das vorgeschrieben?
(SH): Ja, diese Umkehr des Rhythmus schafft erhebliche Probleme, denn die Schüler sind tatsächlich auch extrem müde. Und zwar umso müder, je mehr der Ramadan voranschreitet. In islamischen Gesellschaften ruht im Ramadan das Leben tagsüber. Das ist hier weder gewünscht noch möglich. In früheren Zeiten ordneten sich auch praktizierende Muslime den hiesigen gesellschaftlichen Normen unter. Fasten war Privatsache. In letzter Zeit wird zunehmend Rücksichtnahme auf diese Riten gefordert.
Es kann durchaus vorkommen, dass Schüler sich krankmelden oder anderweitig fehlen, weil diese Tag- und Nachtumkehr zu viel für sie ist. Das heißt nichts anderes, als dass die religiösen Vorgaben für wichtiger als die Schulpflicht genommen werden.
Vor allem jüngere Kinder, die schon beim Fasten mittun wollen, weil die Familie dazu ermuntert, können einem auch schon mal umklappen.
FHM: Ist das denn vorgeschrieben?
(SH): Dabei ist Fasten inklusive des Verzichts auf Getränke bei Kindern gar keine religiöse Pflicht. Sogar der Zentralrat der Muslime sieht bei Kindern unter 14 eine Befreiung vor.
Ebenso wie für Schwangere oder stillende Mütter oder kranke Menschen. Weil einige Kinder aber freiwillig fasten, haben in Österreich Behörden einen Warnbrief an österreichische Schulen verschickt.
FHM: Lehrkräfte haben doch eine Aufsichtspflicht. Kann die Schule von den Eltern verlangen (Schulrecht), dass sie ihre Kinder in einer angemessenen Weise essen und schlafen lassen, damit sie ihrer Schulpflicht genügen können?
(SH): Vor allem gehört ein ausreichender Schlaf nicht nur wegen des Lernerfolgs zu den Kinderrechten. Eltern, aber auch Lehrkräfte haben Kindern gegenüber eine Garantenstellung. Das heißt, sie sind verpflichtet, Schaden von den Kindern abzuwenden. Wenn das Kind unbedingt am Ramadan teilnehmen will, kann eine altersangemessene Lösung gefunden werden. Zum Beispiel kann das Kind ähnlich wie in der christlichen Fastenzeit vor Ostern auf Süßigkeiten verzichten. Kinder sollten zudem an den nächtlichen Familienfeiern nicht teilnehmen.
FHM: Wie kommt es, dass wir diesen „Ramadan“ überhaupt in der Schule spüren? Wenn jemand eine Diät macht und ihm ein wenig flau im Magen ist, kommt das in der Schule doch auch nicht an. Warum ist das beim Ramadan anders?
(SH): In der Tat. Das ist ein Effekt, wenn sich mehrere Muslime gegenseitig in der Einhaltung der angeblichen religiösen Pflichten bestärken. Am durchsetzungsstärksten sind die Glaubensstrengeren, die dann die anderen meinen maßregeln zu können. Bei einer entsprechenden Gruppenzusammensetzung in der Klasse kommt es sogar dazu, dass Nichtmuslime aufgefordert werden, sich an die Regeln zu halten, mindestens aber, nicht vor Muslimen zu essen oder zu trinken.
FHM: Muss eine Schule das mitmachen? Und soll sie schulische Veranstaltungen, Klassenfahrten etc. aus Rücksicht auf den Ramadan verlegen? Oder kann sie sich weigern?
(SH): Was hier ausgefochten wird, ist ein Kampf um die Deutungshoheit und das Setzen der Regeln für alle. Daher sind aber Lehrkräfte gefordert zu intervenieren. Zum einen, um den schulischen Ablauf sicherzustellen, zum anderen, um die Gesundheit aller Schüler und Schülerinnen zu schützen. Und drittens wegen der negativen Religionsfreiheit, die sie sicherstellen müssen. Lehrkräfte haben das Recht und die Pflicht, Andersgläubige vor ungewünschter religiös motivierter Beeinflussung zu schützen.
Wenn es um schulische Veranstaltungen geht, kann die Schule sich einfach weigern, Rücksicht zu nehmen, wenn eine Rücksichtnahme den allgemeinen Ablauf oder den Schulfrieden erheblich beeinträchtigen würde. Ganz grundsätzlich sollte sich eine Schule auch weigern, weil klar sein muss, dass die Schule ein Ort ist, an dem allgemeine Regeln gelten. Die Schulpflicht ist nicht unter religiösen Vorbehalt zu stellen.
FHM: Wie sollte sich eine Schule aufstellen, wenn sie viele Schüler hat, die selbst oder deren Eltern gerne Ramadan feiern möchten? Wie bekommt sie es hin, sich einerseits kulturell bereichern zu lassen und andererseits ihren säkularen Lehrauftrag zu erfüllen? Und wie können sich Schulen Unterstützung holen? (Was kannst du Schulen diesbezüglich an Unterstützung anbieten?)
(SH): Zunächst sollte klar gemacht werden, dass bei Kindern unter 14 Jahren die Teilnahme am Ramadan keine religiöse Pflicht ist. Es empfiehlt sich, die Klarstellung nicht dem einzelnen Lehrer zu überlassen, sondern klassenübergreifend das Vorgehen abzustimmen, optimal auch schul- oder schulformübergreifend innerhalb der jeweiligen Kommune oder des Kreises. Etwa, indem man altersabgestufte Vorschläge macht oder darauf verweist, dass die Kinder und Jugendlichen an den zwei Nächten des Wochenendes mit der Familie feiern können. Es sollte als private und persönliche Angelegenheit gedeutet werden. Auch anderen privaten Interessen kann man ja meist nur am Wochenende nachgehen.
Gerne kann man die Kinder einladen, davon zu erzählen und so andere an ihren Erlebnissen teilhaben zu lassen. Diese besonderen Erlebnisse können dann, wenn die Regeln für alle klar sind, als interessante Bereicherung und Sicht auf eine andere Kultur wirken.
FHM: Wie vertragen sich Religion und Schule generell und inwiefern nimmt der Ramadan eine besondere Rolle ein?
(SH): Grundsätzlich sind religiöse Bräuche der Eltern etwas, das Kinder mitbringen und dem sie ausgesetzt sind. Im Gegensatz zu anderen Festen, ich nenne jetzt mal Feste der Sikh oder jüdische Feiertage, ist das Besondere beim Ramadan, dass ein ganzer Monat betroffen ist. Dabei liegt die lange Dauer eigentlich nur an der Ungenauigkeit der Überlieferung, an welchem Tag genau der Koran herabgesandt worden sein soll.
Grundsätzlich herrscht in der Schule das Primat des säkularen Miteinanders. Und auch wenn die religiösen Vorschriften als bindend empfunden werden, gilt immer noch das Recht anderer Kinder. Es ist sehr egoistisch, wegen der eigenen Belohnung andere zu behelligen. Denn zuallererst geht es im Ramadan darum, die eigene Seele zu befördern.
Das alles ist nicht so ganz einfach umzusetzen, wenn man sich mit der Forderung von Schülern konfrontiert sieht. Aber da helfen Absprache und Übung. Den Umgang kann man lernen, etwa mit Rollenspielen und den gängigen Argumenten. Ich biete dazu Workshops an; mehr Infos dazu auf www.frauenheldinnen.de und ggf. auf deinem Blog.
FHM: Wie sieht es aus, wenn Schüler, um ihre Religion auszuüben, in den Schulfluren beten oder alternativ einen Gebetsraum oder sogenannten „Raum der Stille“ fordern? Muss, darf oder sollte eine Schulleitung dies gestatten? In Wuppertal gab es bereits 2017 einen Fall, der medial Wellen geschlagen hat – wie hat die Schule den gelöst?
(SH): In der Tat: 2017 hat die Schulleitung des Johannes-Rau-Gymnasiums Wuppertal in einer internen Mitteilung „deutlich sichtbares Beten“ mit rituellen Waschungen in den Toiletten, Ausrollen von Gebetsteppichen oder Einnehmen von bestimmten Körperhaltungen verboten und aufgefordert, entsprechende Fälle der Schulleitung zu melden.
Rechtlich ist das Vorgehen der Schulleitung nach Aussage der Bezirksregierung in Ordnung: „Die Schulleiterin hat dazu die Möglichkeit im Rahmen des Hausrechts. Das verfassungsmäßige Gebot des Funktionierens des Schulbetriebes und des Bildungsauftrags gemäß Art. 5 GG geht der Religionsausübungsfreiheit vor. Daher müssen zum Beispiel auch muslimische Mädchen am Schwimmunterricht teilnehmen“, erklärte die Pressesprecherin der Bezirksregierung nach Angaben der „Wuppertaler Rundschau“.
Praxistipp: Untersagen Sie das öffentliche Beten.
FHM: Wie sieht es aus, wenn die Schule eine Kapelle hat. Dürfen muslimische Schüler verlangen, dort beten zu dürfen? Was ist, wenn muslimische Schüler angeben, zu bestimmten Uhrzeiten beten zu müssen.
(SH): Ebenfalls nein mit Verweis auf den Schulfrieden. In unterrichtsfreien Zeiten kann ihnen das freigestellt werden, sofern sie nicht Mädchen und/oder Andersgläubige von der gleichzeitigen Nutzung abhalten.
Der Koran nennt für das Beten keine fixen Uhrzeiten, weil man sich an astronomischen Gegebenheiten wie Sonnenauf- und ‑untergang orientierte. Die Schüler können, wenn sie wollen, zuhause beten, auch Gebete nachholen, das ist allgemein erlaubt.
FHM: Hat der Ramadan besonders für Schülerinnen Auswirkungen? Oder anders gesagt, ist er für Frauen in irgendeiner Weise besonders nachteilig?
(SH): Jungen fühlen sich aufgefordert, Mädchen auf die Einhaltung vermeintlicher religiöser Pflichten wie Kopftuch und Co hinzuweisen. An diesem Punkt ist Aufmerksamkeit notwendig: Folgen Schülerinnen plötzlich abweichenden Kleidungsnormen?
FHM: Was bedeutet der Beutelsbacher Konsens in Bezug auf den Ramadan oder in Bezug auf Gebetswünsche von Schülern?
(SH): Der Beutelsbacher Konsens bedeutet unter anderem, dass Lehrer wissen, dass kein Lehrer Schülern seine Meinung überstülpen darf. Das Stichwort heißt hier Überwältigungsverbot. Umgekehrt, aber das versteht sich eigentlich von selbst, muss kein Lehrer die religiösen Ansichten und Vorschriften eines Schülers unterstützen. Er hat etwa das Recht und die Pflicht, die negative Religionsfreiheit der anderen Schüler zu schützen. Heißt konkret: Jeder Schüler darf verlangen, von religiösen Überzeugungen seiner Mitschüler verschont zu bleiben. Das gilt erst recht für Anweisungen, die sich manche Schüler anmaßen. Das kann man schon vor den Zeiten, in denen das vielleicht akut wird, klarstellen.
FHM: Liebe Sigrid, vielen Dank für deine Ausführungen.
Anhang:
Die Referentin
- Blog von Sigrid Herrmann: https://vunv1863.wordpress.com/
- Interview mit Sigrid Herrmann: https://hpd.de/artikel/so-handelt-muss-kein-berufsverbot-aussprechen-22048?fbclid=IwAR2CZzL2Zd2shuBkxWnZeeXSc78MJM91s-p7gWR9bw9hI_7CvupgDjKib‑I
Streit ums Fasten von Schülern
- 2020: Ramadan: CDU-Ministerin droht Eltern mit rechtlichen Konsequenzen – Linke entsetzt, Stand: 04.05.2020 von Pitt v. Bebenburg https://www.fr.de/rhein-main/ramadan-fasten-cdu-ministerin-droht-eltern-muslime-konsequenzen-linke-entsetzt-13748311.html
Kritischer Hintergrund zum Thema Islamismus/Ramadan
- Faktenblatt Schule und Islamismus: https://www.frauenheldinnen.de/wp-content/uploads/2024/03/handout-islamismus-schulen-110324.pdf
- Frauenheldinnen-Infoartikel zum Ramadan: https://www.frauenheldinnen.de/wissen/der-fastenmonat-ramadan-harmlose-religionspraxis-oder-islamistischer-testballon/
- „Ramadan mit staatlich finanzierter Leuchtreklame – Einen Monat Freifahrtschein für den Politischen Islam“ von Moritz Pieczewski-Freimuth in Humanistischer Pressedienst 15. MÄR 2024 https://hpd.de/artikel/einen-monat-freifahrtschein-fuer-den-politischen-islam-22033