Am 21.3.2024 referierte Lehrerin Susanne im Kompetenznetzwerk der Frauenheldinnen zum Thema: „Wenn Lena plötzlich Lars sein will. Umgang mit Genderidentitätstheorie im Klassenzimmer“. Hier dokumentieren wir die Fragen, die sie beantwortet hat.
Fragen und Antworten im Gespräch mit Susanne
FrauenheldinnenMagazin (FHM): Liebe Susanne, als Lehrerin für Latein, Griechisch und Philosophie liegt die freie Rede gewissermaßen auch deiner Berufsentscheidung zugrunde. Siehst du sie durch die Genderidentitätstheorie bedroht?
Susanne: Ich lasse mir nicht so leicht das Sprechen – und erst recht nicht das Denken – verbieten, von daher fühle ich mich persönlich hier gar nicht so betroffen und hoffe, das bleibt so. Aber da ich ja ständig mit Sprache arbeite, fallen mir die engen Sprachregelungen, die die Genderidentitätstheorie verlangt, immer wieder auf.
In einem Internetformat des öffentlich-rechtlichen Jugendfunks, der Serie „Druck“ bin ich zum ersten Mal mit dieser Theorie in Kontakt gekommen. Es ging um ein Mädchen, das sich als „trans“ identifizierte – und das von den anderen Seriencharakteren beharrlich als „er“ bezeichnet wurde. Es war verpönt, von ihr als dem Mädchen zu sprechen, das sie war.
Ein weiteres Beispiel: Meine Tochter hatte eine Mitschülerin, die sich als „trans“ identifizierte. Und sie ermahnte uns, beeinflusst vom herrschenden Zeitgeist, zu Hause immer wieder dazu, von „ihm“ zu sprechen, und nicht mehr ihren echten Namen zu verwenden, denn das sei respektlos und könne ein Trauma verursachen.
Das kam mir schon sonderbar vor, als ich mich noch gar nicht mit der Genderidentitätstheorie beschäftigt hatte. Außerdem war die Rücksichtnahme widersinnig: Das Kind war ja gar nicht anwesend.
Später habe ich dann die Dogmen der Theorie bewusst wahrgenommen: Der echte Name ist bei den Anhängern der Genderidentitätstheorie der „Deadname“ und darf nicht mehr ausgesprochen werden.
FHM: Bekannt ist der Satz „Transfrauen sind Frauen“. Was steckt dahinter?
Susanne: Als Ethiklehrerin fallen mir bei dem Satz Ähnlichkeiten zu Religionen, insbesondere zu archaischen Religionen auf. Es gibt Tabus wie den „Deadname“, der nicht genannt werden darf. Und es gibt Dogmen, also Glaubenswahrheiten, die man nicht hinterfragen darf, sondern akzeptieren muss, wie eben „Transfrauen sind Frauen“.
Hier kann man auch gut die archaische Vorstellung finden, dass Sprache Realität schafft. Das bekannteste Beispiel kennen wir aus der biblischen Schöpfungsgeschichte, der Genesis: „Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht.“
Dadurch, dass Gott etwas sagt, wird es Realität. Analog wird aus einem Mann, der sich als trans identifiziert, erst eine „Transfrau“, dann eine Frau – einfach, weil er es sagt.
Ist die Parallele zwischen dem Sprechakt in der christlichen Schöpfungsgeschichte und dem woken „selbstbestimmen Geschlechtseintrag“ Zufall oder gibt es noch mehr Parallelen?
Susanne: Ein weiteres Beispiel ist die Transsubstantiationslehre im Katholizismus. Transsubstantiation heißt Wesensverwandlung: In der heiligen Messe beim Abendmahl wandeln sich Brot und Wein in Leib und Blut Christi – wenn der Priester die „Wandlungsworte“ Christi wiederholt: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“ aus dem Lukas-Evangelium.
Wohlgemerkt: Das Brot sieht weiterhin aus wie Brot, nur seine „echte“ Substanz, das, was es „wirklich“ ist, ist nun der Leib Jesu Christi. Ganz ähnlich wie bei bekannten „Transfrauen“: Sie sehen mehr oder weniger genau so aus wie vorher – aber es wird fest geglaubt, sie seien jetzt Frauen.
Es wird mittlerweile gar nicht mehr der Anspruch erhoben, eine „Transidentität“ sei irgendwie objektiv nachweisbar. Auch im Christentum sind die „Gottesbeweise“ aus der Mode gekommen, was zählt, ist allein die rein subjektive Empfindung, der subjektiv empfundene Glaube.
Die offizielle Definition der „Genderidentität“, die Verfechter der Theorie auf der sogen. Yogyakarta-Konferenz festgelegt haben, lautet: „das tief empfundene innere und persönliche Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht“. Beides, die Existenz eines Gottes und eine Genderidentität, kann man nur persönlich subjektiv empfinden und daran glauben.
Und noch eine Gemeinsamkeit mit der Religion gefällig? Es gibt „Abgefallene“, also Menschen, die vom Glauben abfallen und dafür bestraft werden. Das sind die Detransitionierer, also diejenigen, die ihre „Transition“ rückgängig machen und denen man vorwirft, sie seien Verräter und nie wirklich „trans“ gewesen.
FHM: Die Theorie von den Genderidentitäten drängt zunehmend in die Schulen. LehrerInnen nutzen Materialien, die davon durchdrungen sind und das Geschlecht als Spektrum betrachten, das nur jeder Mensch selbst empfinden könne. Was ist, wenn man das ablehnt und dies im Unterricht auch artikulieren möchte? Muss man diese Materialien benutzen?
Susanne: Was den Unterricht angeht, ist es so, dass man als Lehrerin verpflichtend das unterrichten muss, was im Lehrplan des jeweiligen Bundeslandes steht. Außerdem gibt es meistens noch verbindliche Richtlinien zur Sexualerziehung. An die muss man sich verpflichtend halten. Das ist jetzt natürlich von Bundesland zu Bundesland verschieden. Aber man ist weder verpflichtet, mit irgendwelchen spezifischen Materialien zu unterrichten, noch mit einem bestimmten Kapitel in einem Buch. Man kann auch sein eigenes Material erstellen, Hauptsache, man hält sich an den Lehrplan bzw. die Richtlinien.
FHM: Was geben die unterschiedlichen Bundesländer denn vor in Sachen Genderidentitätstheorie?
Susanne: Es gibt wichtige Unterschiede: Im hessischen Lehrplan Sexualerziehung sind z.B. „unterschiedliche sexuelle Orientierungen und geschlechtliche Identitäten (Hetero-, Bi-, Homo- und Transsexualität)“ verbindliche Themen.
In Bayern heißt es wiederum in den „Richtlinien für die Familien- und Sexualerziehung“:
„Schülerinnen und Schüler […] schlüsseln die Vielfalt der unter dem Geschlechtsbegriff subsumierten Aspekte auf: biologisches Geschlecht, selbst empfundene Geschlechtsidentität und Rollenverständnis […]“; achten die eigene sexuelle Orientierung und die sexuelle Orientierung anderer (Hetero-, Homo-, Bisexualität); achten und wissen um Trans- und Intersexualität.“
Es ist hier nicht genau definiert, was Transsexualität ist.
Das heißt: In Bayern ist nicht vorgeschrieben, dass man Transsexualität als „Identität“ unterrichtet, in Hessen aber schon.
FHM: Haben die Eltern auch ein Wörtchen mitzureden, wenn die Gefahr besteht, dass ihre Kinder mit einer glaubensartigen Doktrin wie der Genderidentitätstheorie beschallt werden?
Susanne: Teilweise ja. In Niedersachsen heißt es in § 96 des Schulgesetzes:
„Die Lehrkräfte haben Inhalt, Planung und Gestaltung des Unterrichts mit den Klassenelternschaften zu erörtern. Dies gilt vor allem für Unterrichtsfächer, durch die das Erziehungsrecht der Eltern in besonderer Weise berührt wird. Die Erziehungsberechtigten sind insbesondere über Ziel, Inhalt und Gestaltung der Sexualerziehung rechtzeitig zu unterrichten, damit die Erziehung im Elternhaus und die Erziehung in der Schule sich so weit wie möglich ergänzen.“ Weiter heißt es: „Dabei sind ihr Persönlichkeitsrecht und das Erziehungsrecht der Eltern zu achten.“
Da muss man sich dann, so sehe ich das, auf den kleinsten geeigneten Nenner einigen: Wenn Eltern dagegen sind, den Kindern Konzepte wie die Genderidentitätstheorie zu vermitteln, und sie auch nicht im Lehrplan steht (und das tut sie in Niedersachsen nicht), dann muss man sie nicht unterrichten, eigentlich darf man sie dann auch nicht unterrichten.
FHM: Woher holen sich die Schulen denn ihr Wissen in Sachen Genderidentitätstheorie? Externe Beratungsstellen? Sind die qualifziert? Und wes Geistes Kind sind die?
Susanne: Es kommen Organisationen ins Spiel, die vordergründig zum Thema „Antidiskriminierung“ oder „Vielfalt“ von außen zu Workshops an die Schule geholt werden, bei denen es aber dann doch um Themen der Sexualerziehung geht, wozu man die Genderidentitätstheorie ja zählen muss. Hier müssen die Schulleitungen sehr vorsichtig sein und dürfen die Auswahl der Organisationen nicht z.B. der Schulsozialarbeit überlassen. Es gibt ja Organisationen, die Menschen ohne jede pädagogische oder psychologische Qualifikation in 10tägigen Workshops zu Beratern „qualifizieren“.
In Bayern ist die Auswahl von externem Fortbildungspersonal schon mal gut geregelt: Der Schulleiter oder die Schulleiterin muss einen oder eine Beauftragte für Familien- und Sexualerziehung an der Schule ernennen, sie oder er „prüft alle Angebote externer Anbieter zur Familien- und Sexualerziehung und stellt sicher, dass jede außerschulische Zusammenarbeit im Einklang mit den Richtlinien für die Familien- und Sexualerziehung geschieht.“
FHM: Wie ist die Lage, wenn die Schulleitung explizit die Genderidentitätstheorie als fortschrittlich bezeichnet und durchklingen lässt, dass sie es als „transfeindlich“ empfände, wenn der Lehrkörper das nicht mitträgt? Was rätst du?
Susanne: Das ist eine schwierige Situation – denn Lehrkräfte sind natürlich ihren Vorgesetzten, den Schulleitern, gegenüber weisungsgebunden, das heißt, sie müssen tun, was die Schulleitungen sagen. Zunächst einmal ist es ganz wichtig, wie die Regelung im jeweiligen Bundesland lautet. In Berlin wurde z.B. im letzten Herbst ein neuer „LSBTIQ+ Aktionsplan“ verabschiedet, in dem es heißt:
„Die für Bildung zuständige Verwaltung prüft die Einführung von Richtlinien zum Umgang mit Angleichung und Anerkennung des Geschlechts und der geschlechtlichen Identität von Schüler*innen. Diese sollen die Anerkennung des selbstgewählten Vornamens und der selbsterklärten Geschlechtszugehörigkeit von trans, inter und nicht-binären Schüler*innen bzw. von Schüler*innen, die in einer anderen Geschlechtsrolle als der bisherigen auftreten und anerkannt werden möchten, insbesondere in Bezug auf die mündliche Kommunikation, schulische Dokumente, Zeugnisse und weiteren Urkunden, die Nutzung geschlechtsspezifischer Umkleide- und Sanitärräume, die Teilnahme an geschlechtsspezifischen Bildungsangeboten und die Teilnahme an außerschulischen Angeboten regeln.“
FHM: Nun hat der Bundestag ja leider am 12. April das von uns Frauen seit Jahren bekämpfte #Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet, das zum 1. November 2024 in Kraft tritt. Dann können schon Jugendliche ab 14 Jahren entscheiden, den Namen und Geschlechtseintrag zu wechseln. Das macht es schwierig für Lehrkräfte, sich der Genderidentitätstheorie zu widersetzen und einer Schülerin zu verweigern, sie als Schüler anzusprechen, oder?
Susanne: Wenn jetzt verpflichtend Richtlinien eingeführt werden, die vorschreiben, dass eine Schülerin, die sich als „trans“ identifiziert, mit einem selbstgewählten Vornamen und als Junge angesprochen wird, dann wird es schwierig. Was man machen kann, wenn es zu Differenzen kommt: Man könnte sich auf das Grundgesetz berufen, Artikel 3, Satz 3:
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.
Wenn man sich dann darauf beruft, dass die eigene politische oder religiöse Weltanschauung einem nicht erlaubt, zu akzeptieren, dass Mädchen qua „Geschlechtsidentität“ Jungen sein können, bzw. dass es besser sein soll, Mädchen als Jungen zu behandeln – Selbstbestimmungsgesetz hin oder her, könnte man Erfolg haben – aber das muss man im Notfall einklagen. In Großbritannien hat sich eine Wissenschaftlerin diese Glaubensfreiheit erklagt: Sie hatte ihren Job verloren, weil sie gesagt hatte, dass das biologische Geschlecht real sei.
FHM: Du hast die Glaubensfreiheit genannt. Welche Argumente können Lehrkräfte sonst noch anführen? Stichwort „Transition“
Susanne: Wenn das Kind schon aufgrund einer wie auch immer gearteten Identität seinen Namen und Geschlechtseintrag geändert hat, ist es schwierig. Besser ist, man lässt es gar nicht so weit kommen: Wenn es irgendwie möglich ist, sollte man sich dafür einsetzen, dass es an der Schule ein Konzept gibt, wie man mit Schülerinnen und Schülern umgeht, die sich als „trans“ identifizieren, genauso wie es – hoffentlich! – auch ein Konzept bei Mobbingfällen gibt.
Jede Lehrkraft sollte wissen, wie an der Schule damit umgegangen werden soll, wenn z.B. Schüler mitten im Unterricht wünschen, ab jetzt mit einem anderen Namen angesprochen werden will, und dass andere Pronomen verwendet werden sollen. Wenn es einem wichtig ist, kann man versuchen, an diesem Konzept mitzuwirken, und – so weit es nicht verpflichtend anders geregelt ist – den anderen Beteiligten klarzumachen, dass eine solche „soziale Transition“ keine neutrale Aktion ist, sondern eine schwerwiegende psychosoziale Intervention, für die Lehrer nicht ohne weiteres qualifiziert sind – und dass viele Schulpsychologen empfehlen, einen solchen „Alltagstest“ höchstens dann zu erlauben, wenn sowohl ein fachärztliches Zeugnis von einem Kinder- und Jugendpsychiater vorliegt, als auch eines von einem Endokrinologen, letzteres, um Klarheit darüber zu haben, ob es sich evtl. um ein Kind mit DSD handelt, also einer Entwicklungsstörung. Einem solchen Kind muss man zugestehen, so behandelt zu werden, wie es sich selbst empfindet – aber das ist ja eine ganz andere Sache als „trans“ bzw. als eine „Genderidentität“.
Und selbstverständlich sollten die Eltern Bescheid wissen und einverstanden sein. Auch ist es wichtig, dass allen, die über ein solches Konzept entscheiden, bewusst ist, dass je nach Studie 80 bis 95% der Jugendlichen sich nach der Pubertät mit ihrem biologischen Geschlecht aussöhnen – eine frühe „soziale Transition“ kann das verhindern.
FHM: Ganz konkret: Eine deiner Schülerinnen, nennen wir sie Lena, bezeichnet sich plötzlich als Junge und verlangt, ab sofort mit ihrem neu erdachten Jungennamen Lars angesprochen zu werden. Die Translobbyorganisationen raten natürlich, dem Wunsch des Kindes zu entsprechen. Du würdest dich weigern? Oder wie würdest du mit der Situation umgehen?
Susanne: Also, wenn das vom Bundesland und von der Schulleitung oder im Schulkonzept nicht eindeutig und verpflichtend geregelt ist, würde ich nicht sofort dem Wunsch nachkommen – wenn ich nicht selbst fest an die Genderidentitätstheorie glaube.
Ich habe ja gerade schon gesagt, dass Schulpsychologen wohlbegründet empfehlen, eine solche „soziale Transition“ nicht ohne jegliche Voraussetzung auf Wunsch zu ermöglichen.
Man sollte als Lehrkraft auf jeden Fall vorbereitet sein und sich eine mögliche, respektvolle Antwort auf das Anliegen überlegen. Man sollte der aktuellen Situation gerecht werden und idealerweise souverän reagieren, wenn ein Kind sich direkt im Unterricht äußert, vor allen anderen Schülerinnen und Schülern.
Man kann zum Beispiel sagen, dass man sich nicht für eine solche Maßnahme qualifiziert und kompetent fühlt und das erst einmal besprechen möchte, mit der Schulleitung, oder der Schulpsychologie – oder den Eltern. Oder man kann sagen, dass es die eigene Weltanschauung nicht zulässt, so zu handeln, als ob ein Mädchen ein Junge sein könnte.
Man sollte in jedem Falle respektvoll sein: Vielleicht kann man zusagen, dann einfach gar keine Pronomen zu verwenden. Und sich bereit erklären, z.B. einen ersten oder zweiten Vornamen so zu verwenden, dass er geschlechtsneutral klingt: zur Not z.B. „Leo“, wenn das Mädchen Leonie heißt. Wichtig ist, dass die Beziehung zur Schülerin nicht komplett abreißt – aber auch, dass man sich selbst treu bleibt.
FHM: Wozu ist die Lehrkraft rechtlich verpflichtet im Umgang mit einem neu gewählten Geschlechtseintrag? Beispielsweise im Sport?
Susanne: Ich bin jetzt keine Juristin oder Expertin im Schulrecht. Aber so viel kann ich, denke ich, schon sagen: Wenn es im jeweiligen Bundesland nicht explizit anders geregelt ist, sind Lehrkräfte nicht verpflichtet, neue „selbstgewählte“ Namen zu verwenden – oder Jungs plötzlich wie Mädchen anzusprechen. Das gilt insbesondere für Noten, die für Mädchen und Jungen unterschiedlich vergeben werden: Ein Junge, der sich als „trans“ erklärt, kann im Sport nicht plötzlich wie ein Mädchen benotet werden.
Aber man muss ja auch die Situation der anderen Schülerinnen und Schüler in den Blick nehmen: Sie dürfen nicht einfach „überwältigt“ werden.
Was bedeutet die Aussage, man dürfe die anderen Schülerinnen und Schüler nicht „überwältigen“?
Man hat sich in den 70ger Jahren des letzten Jahrhunderts auf den sogenannten „Beutelsbacher Konsens“ geeinigt, der als fachlich anerkannte Grundlage für die politische Bildung auch an Schulen gilt, obwohl er strenggenommen nicht rechtsverbindlich ist. Ich zitiere einmal kurz die drei zentralen didaktischen Leitgedanken aus dem Eintrag der Bundeszentrale für politische Bildung hierzu:
„I. Überwältigungsverbot.
Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der “Gewinnung eines selbständigen Urteils” zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und der – rundum akzeptierten – Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers.
2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen.
Diese Forderung ist mit der vorgenannten aufs engste verknüpft, denn wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden oder Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur Indoktrination beschritten. Zu fragen ist, ob der Lehrer nicht sogar eine Korrekturfunktion haben sollte, d. h. ob er nicht solche Standpunkte und Alternativen besonders herausarbeiten muss, die den Schülern (und anderen Teilnehmern politischer Bildungsveranstaltungen) von ihrer jeweiligen politischen und sozialen Herkunft her fremd sind.
[…]
3. Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren,
sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen.“
Wir haben ja vorhin besprochen, dass die Genderidentitätstheorie keine wissenschaftlich bestätigte Theorie ist, sie ist eher eine Meinung, eine Weltanschauung, eine politische Überzeugung – also darf man Schüler, die nicht an sie glauben, damit auch nicht indoktrinieren. Lehrer müssen in der Schule vielmehr zeigen, dass sie in der Gesellschaft kontrovers diskutiert wird – und wir müssen die Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzen, sich eine eigene Meinung zu bilden.
FHM: Kommunikation mit den Eltern: Wie sollte die Lehrkraft ihre Haltung und Vorgehensweise den Schülereltern kommunizieren?
Susanne: Insbesondere, was die Sexualerziehung anbelangt, ist ja in den meisten Bundesländern eine enge Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus vorgesehen. Niedersachsen hatten wir ja gerade schon, auch in den Hamburger Bildungsplänen heißt es: Schulische Sexualerziehung knüpft an die Sexualerziehung des Elternhauses und der Grundschule an und ergänzt diese. Im Sinne einer vertrauensvollen Zusammenarbeit wird den Eltern die Gelegenheit gegeben, ihre Erfahrungen und Vorstellungen in die schulische Arbeit einzubringen.
Ich kann mir jetzt vorstellen, dass die Eltern überwiegend eher kritisch gegenüber der Genderidentitätstheorie sind und eher nicht dafür, den Kindern beizubringen, dass sie evtl. „im falschen Körper stecken“. Aber das muss man im Einzelfall sehen, ob in der Klasse nun ein Kind ist, dass sich als „trans“ identifiziert und dessen Eltern große Verfechter der Theorie sind – oder eben nicht.
Ich denke, man kann seine persönliche Haltung, wenn irgend möglich, klar und respektvoll kommunizieren. Idealerweise nimmt man sich zum Klassenelternabend noch eine andere Lehrkraft zur Unterstützung mit. Aber klar ist: Als Lehrkraft muss man sich an die geltenden Regelungen im Bundesland halten.
Eva: Hat ein Kind, das sich als „trans“ definiert, Anspruch darauf, sich Dokumente entsprechend seiner neuen Identität ausstellen zu lassen?
Susanne: Wie gesagt, ich bin keine Juristin, aber ich denke, allgemein kann man sagen: Wenn es keine strikt anderslautende Regelung im Bundesland gibt – und das könnte möglicherweise in Berlin demnächst so sein, wenn die Behörden geprüft haben, gilt:
- Ohne eine rechtliche Namensänderung nach dem TSG hat kein Schüler und keine Schülerin Anrecht darauf, mit einem neugewählten, meist gegengeschlechtlichen Namen angesprochen zu werden. Lehrer dürfen es entsprechend anreden, wenn das den Regelungen entspricht, dem internen Schulkonzept und der Weisung der Schulleitung – aber sie müssen nicht, sofern es nicht bindend in den Regelungen festgelegt ist, im Schulkonzept oder der Weisung der Schulleitung.
- Schule und Lehrer müssen keine schriftlichen Unterlagen und Zeugnisse gemäß des Wunschgeschlechts ausstellen oder gar rückwirkend ändern – es sei denn, die Änderung von Namens- und Geschlechtseintrag wurden – lt. momentaner Rechtslage gemäß TSG – gerichtlich bestätigt. Es gibt im Moment Versuche, Schulen dazu zu bringen, Zeugnisse in doppelter Ausführung auszugeben: Einmal mit dem gesetzlich gültigen, einmal mit dem „Wunschnamen“. Sofern das nicht genau so geregelt ist im jeweiligen Bundesland, ist das keine gute Idee: So können SchülerInnen und Schüler evtl. ihre Eltern täuschen, die dann vllt. gar nicht mitbekommen, dass ihr Kind in der Schule als „trans“ auftritt.
- Vorgeschrieben ist der gesetzliche Name in jedem Fall, wenn der Jugendliche als Zeugin/Zeuge vor Gericht auftritt (Wahrheitspflicht §§ 153 ff Strafgesetzbuch – StGB). Außerdem gemäß § 111 Ordnungswidrigkeitengesetz zur Identitätsfeststellung durch eine Behörde.
Eva: Was hältst du von Unisextoiletten? Sind dann alle Probleme gelöst, weil sie ja von allen benutzt werden können, wie die Anhänger der Genderidentitätstheorie behaupten?
Susanne: Die Aufhebung der Schutzräume für Schülerinnen– die sogenannte Toilette für alle – entfacht viele Diskussionen in der Schulkonferenz bzw. im Schulforum (da gibt es je nach Bundesland unterschiedliche Bezeichnungen). Nach §3 Abs. 1 Arbeitsstättenverordnung, Anhang Punkt 4 gilt: “Umkleide-, Wasch- und Toilettenräume sind für Männer und Frauen getrennt einzurichten oder es ist eine getrennte Nutzung zu ermöglichen.” Auch in der CEDAW, der in Deutschland verbindlichen Frauenrechtskonvention, steht es nahezu gleichlautend.
Allerdings entschließen sich immer mehr Schulen, die sog „Toilette für alle“ einzurichten – mit allen vorhersehbaren negativen Folgen besonders für Mädchen.
Seitens der Sachaufwandsträger werden inzwischen Argumente für die Unisex-Toilette geltend gemacht, denn in vielen Schulgebäuden ist die Toilettensituation für Schülerinnen und Schüler allgemein unbefriedigend: Lange Wartezeiten vor Mädchentoiletten können vermieden werden, wenn alle vorhandenen Toilettenanlagen auch von allen genutzt werden dürfen. Es geht in vielen Fällen nicht in erster Linie um einen geschlechterpolitischen Vorstoß, sondern um den Versuch, begrenzte räumliche Kapazitäten effektiv zu nutzen. Hier kommt die Selbstbestimmungsdebatte für die Sachaufwandsträger eher zu einem günstigen Moment.
Dennoch gibt es gewichtige Argumente gegen Unisex-Toiletten an Schulen, die nicht auf dem Beharren auf einer vermeintlich überkommenen Geschlechtersegregation fußen: Es stellt sich die Frage, ob es wirklich dem Interesse aller entspricht, die gleiche Toilette zu benutzen. So gab es an manchen Schulen Beschwerden über die mangelnde Sauberkeit der Unisex-Toiletten, für die männliche Schüler verantwortlich gewesen sein sollen. Ein weiteres Argument gegen Unisex-Toiletten an Schulen ist die Funktion der Mädchen-Toilette als Schutz- und Rückzugsraum, der dann verloren ginge. Aus England wird z.B. berichtet[i], dass Mädchen weniger trinken, um den Toilettengang zu meiden und sich während ihrer Menstruation häufiger krankmelden, da sie sich in gemischtgeschlechtlichen Sanitärräumen nicht mehr wohl und geschützt fühlen. Außerdem gibt es Belege, auch aus England meine ich, dass es in gemischtgeschlechtlichen Sanitärräumen und Umkleiden mehr Übergriffe gibt.
Eva: Können Eltern von Mädchen und Mädchen fordern, in ihrer Schule getrenntgeschlechtliche Toiletten vorzuhalten?
Susanne: Ich denke, sie sollten es in jedem Falle tun, wenn die Mädchen ihre eigenen Toiletten behalten möchten – schließlich entspricht das geltendem internationalen Recht. Es kommt vor, dass vorrangig die Mädchentoiletten zu Unisextoiletten umgewidmet werden, weil es da ja schon Einzelkabinen gibt. Wenn es dann dazu kommt, dass Mädchen zu den reinen Mädchentoiletten viel weiter laufen müssen bzw. es weniger reine Mädchentoiletten gibt, wird das schnell sehr ungerecht.
Eva: Stichwort Klassenfahrt gemischgeschlechtliche Unterbringung: Lobbyorganisationen der Transgenderlobby versuchen Lehrkräften Angst einzujagen, dass sie Jungs, die sich als Mädchen definieren, nicht mehr bei den Jungs unterbringen dürfen, weil sie sich dann strafbar machen. Wie siehst du das? Und wie können Lehrkräfte ihrer Aufsichtspflicht genügen, ohne sich der Gendertheorie zu unterwerfen?
Susanne: In der Tat berufen sich die Organisationen auf §9 (3) SGB VIII, wonach es gilt, „die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen, Jungen sowie transidenten, nichtbinären und intergeschlechtlichen jungen Menschen zu berücksichtigen, Benachteiligungen abzubauen und die Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern“.
Aber so extrem, wie Du es schilderst, habe ich das jetzt noch nicht gesehen – ich kenne es eher so: Man versucht, Lehrern zu vermitteln, dass sie Schüler ruhig gemischtgeschlechtlich unterbringen dürfen, also dass sie Jungen, die sich als „trans“ identifizieren, also als Mädchen, problemlos mit Mädchen im selben Schlafsaal unterbringen dürften. In einer Broschüre steht z.B. Folgendes: „Das Gesetz sieht in §180 StGB vor, dass sich eine Person u.a. strafbar macht, wenn diese einer sexuellen Handlung an einer Person unter 16 Jahren „durch das Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheiten Vorschub leistet“. Mit dem Sexualstrafrecht gehen sogenannte Altersschutzgrenzen einher. Gruppenleitungen haben dafür Sorge zu tragen, dass unter 14-Jährige generell keinen sexuellen Kontakt haben, auch nicht mit ihrem Einverständnis und auch wenn die andere Person ebenfalls unter 14 Jahre alt ist. Bei unter 16-Jährigen dürfen Gruppenleitungen sexuelle Handlungen nicht durch das im Zitat genannte „Vorschubleisten“ befördern. Damit wird klar, dass eine mögliche Strafbarkeit nach §180 überhaupt erst in Frage kommt, wenn es sich um Teilnehmende handelt, die unter 16 Jahre alt sind.
Und dann wird lang und breit erklärt, dass es ja nicht nur zwischen Mädchen und Jungs zu sexuellen Handlungen kommen könne, sondern auch zwischen Mädchen, und zwischen Jungs, und zwischen „nichtbinären“ Jugendlichen – und dass deshalb die gemeinsame Unterbringung in keinem Falle als ein „Vorschubleisten“ gelten könne, also als strafbares „Verschaffen von Gelegenheiten“.
Wir können das hier schon abkürzen: Schulleitungen und Lehrkräfte sind sich, denke ich, sehr einig darüber, dass es entscheidend ist, nicht zwei Jugendliche gemeinsam übernachten zu lassen, deren sexuelle Handlungen miteinander zu einer Schwangerschaft führen können.
Die Fragen stellte Eva Engelken
[i] https://www.dailymail.co.uk/news/article-7542005/Girls-skipping-school-avoid-sharing-gender-neutral-toilets-boys.html
4 Fragen für Breakout-Rooms
- Welche Erfahrungen haben Sie an Ihrer Schule mit Kindern gesammelt, die sich einem anderen Geschlecht zuordnen?
- Wie beurteilen Sie das Schulmaterial im Hinblick auf etwaige Einflüsse der Genderidentitätstheorie?
- Statistisch sind Mädchen bei den Transitionswünschen überrepräsentiert. Woran könnte das liegen – und wie könnte man gegensteuern?
- Wie könnte ein Konzept an einer Schule zum Umgang mit Jugendlichen, die sich als „trans“ identifizieren, aussehen?