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Medienkritik und Filmbesprechung: „Sound of Freedom“

Einen Beutel Kokain kann man einmal verkaufen. Ein 5‑jähriges Kind 5- bis 10-mal pro Tag über 10 Jahre

von | 22.07.23

„Einen Beu­tel Koka­in kann man ein­mal ver­kau­fen. Ein 5‑jähriges Kind 5- bis 10-mal pro Tag über 10 Jah­re“
Film­zi­tat von Tim Ball­ard (gespielt von Jim Cavie­zel)

Der Film „Sound of Free­dom“ von Jim Cavie­zel läuft seit Anfang Juli in den US-Kinos und erhitzt die Gemü­ter. Die meis­ten Men­schen, die die­sen Film sehen, sind bestürzt, geschockt, ver­stört. Die Kri­ti­ken auf „Rot­ten Toma­toes“ spre­chen eine kla­re Spra­che:

Man soll­te mei­nen, bei einem Film, der sich des The­mas „Kin­der­han­del“ annimmt, sind sich alle einig – egal aus wel­cher poli­ti­schen Rich­tung oder aus wel­chem kul­tu­rel­len oder reli­giö­sen Hin­ter­grund sie kom­men. Schaut man sich die Reak­tio­nen man­cher Medi­en an, reibt sich der Zuschau­er aber ver­wun­dert die Augen. So ging es mir zumin­dest, als ich diver­se „Reviews“ zu dem Film las. Doch der Rei­he nach.

Inhalt des Films „Sound of Freedom“ (Spoiler)

SoF ist kei­ne Doku­men­ta­ti­on und auch kei­ne Bio­gra­fie. Der Film ist als Thril­ler kon­zi­piert, bleibt aber unauf­ge­regt, fast schon zu ruhig. So schafft er aber den­noch eine fast zwei­stün­di­ge beklem­men­de Atmo­sphä­re, die dem The­ma durch­aus ange­mes­sen ist. Der Film erzählt die Geschich­te von Timo­thy Ball­ard und sei­nem Wer­de­gang vom Agen­ten bei der US-Home­land Secu­ri­ty hin zum Akti­vis­ten und Grün­der der Non-Pro­fit-Orga­ni­sa­ti­on „Ope­ra­ti­on Under­ground Rail­road“ (O.U.R.). Dies geschieht am Bei­spiel der Geschich­te zwei­er Geschwis­ter aus Hon­du­ras, 7 und 11 Jah­re alt, die durch das Ver­spre­chen eines lukra­ti­ven „Model“-Jobs in die Kin­der­han­dels­rin­ge gera­ten. Es kom­men kei­ne expli­zi­ten Sze­nen vor, aber genug Beschrei­bun­gen und Andeu­tun­gen, die kei­nen Zwei­fel beim Zuschau­er las­sen, was dort pas­siert. Tim Ball­ard, gespielt von Jim Cavie­zel, stößt im Rah­men sei­ner Tätig­keit als Agent und einer Fest­nah­me eines Pädo­phi­len per Zufall auf den Jun­gen und beschließt, ihn zu ret­ten. Im Lau­fe des Films küm­mert er sich eben­falls um die Ret­tung des Mäd­chens, taucht immer wei­ter in den Sumpf der Pädo­r­in­ge und Men­schen­händ­ler ab und kün­digt sogar sei­nen Job, um frei han­deln zu kön­nen. Es fol­gen ein Under­co­ver Ein­satz, neue Freun­de und Alli­an­zen, eine Raz­zia in Zusam­men­ar­beit mit den Behör­den in Kolum­bi­en und schließ­lich die Wie­der­ver­ei­ni­gung der Kin­der mit ihrem Vater und die Rück­kehr Ball­ards zu sei­ner Fami­lie, nach­dem er eini­ge Mona­te in Süd­ame­ri­ka ver­bracht hat­te.

Was ist wahr, was Fiktion?

Die Raz­zia auf der Insel gab es wirk­lich. Die bei­den Kin­der exis­tie­ren aller­dings nicht so wie im Film dar­ge­stellt, auch wenn gera­de die Geschich­te des Jun­gen auf einer wah­ren Bege­ben­heit basiert. Timo­thy Ball­ard hat auch nie­man­den getö­tet oder sich allei­ne durch den Dschun­gel gekämpft. Hier muss man sich vor Augen hal­ten, dass ein Film eben kei­ne Doku­men­ta­ti­on ist. Ball­ard war Agent für die Home­land Secu­ri­ty und ist Grün­der der O.U.R.. Sei­ne Freun­de in Süd­ame­ri­ka exis­tie­ren eben­falls, auch wenn sie an den spe­zi­el­len Ope­ra­tio­nen nicht teil­ge­nom­men haben.

Alles in allem hat die Hand­lung einen wah­ren Kern. Die am Ende ange­ge­be­nen Zah­len zu moder­nem Men­schen- und Kin­der­han­del stim­men eben­falls, wobei es sich natur­ge­mäß um Schät­zun­gen han­delt. O.U.R. hat auch klar­ge­stellt, dass die meis­ten Kin­der nicht gewalt­sam ent­führt wer­den, son­dern Opfer von soge­nann­tem „Groo­ming“ wer­den. Dies spielt im Film aller­dings kei­ne Rol­le. Ball­ard bzw. O.U.R. sind nach wie vor aktiv. Über deren Arbeit kann man sich z.B. auf You­Tube kos­ten­los gan­ze Doku­men­ta­tio­nen anschau­en, wenn man sich für das The­ma näher inter­es­siert.

Chan­nel O.U.R.: https://www.youtube.com/@OurRescueOrg

Die unbegründeten Vorwürfe zum Film

Die Rezen­sio­nen zum Film sind sich einig. Selbst die meis­ten pro­fes­sio­nel­len Kri­ti­ker haben nichts am Inhalt aus­zu­set­zen. Aber es gibt eini­ge Stim­men, die mit aben­teu­er­li­chen Vor­wür­fen ver­su­chen, Stim­mung gegen den Film zu machen.

Ein paar Bei­spie­le. Pro­sta­sia Foun­da­ti­on beklagt auf Twit­ter, dass der Film benutzt wer­de, um Hass gegen Außen­sei­ter zu recht­fer­ti­gen, „in die­sem Fall Immi­gran­ten und que­er und trans Men­schen“.

Fokus spricht von einem „unheim­li­chen Ver­schwö­rungs­block­bus­ter“. Die Tages­post spricht von Trump-Pro­pa­gan­da.

Screenshot google.de: Deutsche Suchergebnisse zu "Sound of Freedom"

Screen­shot google.de: Deut­sche Such­ergeb­nis­se zu „Sound of Free­dom“

Der Tenor bei die­sen Arti­keln teils hoch­re­nom­mier­ter Por­ta­le und Zei­tun­gen ist immer gleich: Ver­schwö­rungs­theo­rie, „rechts“, trans­phob, que­er­feind­lich, frem­den­feind­lich, ras­sis­tisch, adre­no­chrom.

Ich habe den Film gese­hen und kann sagen: Nichts davon beinhal­tet der Film. Mehr noch: Nichts davon kann man guten Gewis­sens auch nur hin­ein­in­ter­pre­tie­ren. Es kommt schlicht nichts davon vor; gar nichts, im Gegen­teil. Die Täter sind meist „alte wei­ße Män­ner“, die die Armut und Not von Men­schen aus­nut­zen, um sich selbst an den Kin­dern zu ver­ge­hen, sie zu benut­zen. Ent­we­der als Sex- oder als Arbeits­skla­ven.

Poli­tik spielt kei­ne Rol­le, „que­er“ oder „trans“ kommt nicht vor. Es geht nicht um irgend­wel­che „jüdi­schen Welt­ver­schwö­run­gen“, wie mir ein Twit­ter­nut­zer kürz­lich weis­ma­chen woll­te, nie­mand äußert sich irgend­wer ras­sis­tisch oder dis­kri­mi­niert irgend­wen. Liest man sich die­se Arti­kel durch, wird schnell klar: Hier wer­den Vor­wür­fe über meh­re­re Ecken kon­stru­iert. Sie hal­ten kei­ner genaue­ren Über­prü­fung stand, aber das ist auch gar nicht not­wen­dig. Denn wer liest heu­te schon mehr als nur die Über­schrift?

Wer prüft schon nach? Es steht in Zei­tung XY, also muss es stim­men.

Ich fra­ge mich: Was hat der Kampf gegen Kin­der­han­del, gegen Pädo­r­in­ge mit „rechts“ oder „links“ zu tun? Wenn jemand gegen die­sen Sumpf vor­geht, ist es doch egal, wen er wählt, an was er glaubt oder wel­che Haut­far­be er hat, oder? Es soll­te zumin­dest so sein, doch offen­bar den­ken nicht alle so. War­um?

Der ehe­ma­li­ge NZZ-Kolum­nist Milosz Matu­schek fragt auf sei­nem Blog „Frei­schwe­ben­de Intelligenz.org“  „War­um ver­sucht der Medi­en­main­stream einen Film schlecht zu reden oder klein zu hal­ten, der sich einem so wich­ti­gen The­ma wid­met?“  https://open.substack.com/pub/miloszmatuschek/p/sound-of-freedom-ist-der-kampf-fur?r=anpur&utm_campaign=post&utm_medium=web

Er fragt wei­ter: „Fürch­tet man, dass der Film bestimm­te The­men wie­der in den Fokus des Publi­kums­in­ter­es­ses rückt, die der Main­stream schon längst begra­ben hat?“

Persönliche Einschätzung

Der Film ist nicht schlecht. Man muss sich aber auch vor Augen hal­ten, dass es eine Low-Bud­get-Pro­duk­ti­on ist und er schon eini­ge Jah­re auf Hal­de lag, bis er schluss­end­lich die­ses Jahr in die Kinos kam. Was den Film so emo­tio­nal macht, ist, dass es wirk­lich Kin­der­han­del und Pädo­r­in­ge gibt, die nur schwer auf­zu­brin­gen sind. Viel zu vie­le Men­schen schau­en immer noch weg, vie­le Ämter, Behör­den, Rich­ter und Anwäl­te gehen zu lax mit ent­spre­chen­den Fäl­len um. Es fehlt an Per­so­nal und Mit­teln, um effek­tiv ermit­teln zu kön­nen.

Viel­leicht auch am Wil­len?

Immer mal wie­der wird in Deutsch­land die Schutz­al­ters­gren­ze dis­ku­tiert, ab der eine Per­son juris­tisch als ein­wil­li­gungs­fä­hig für sexu­el­le Hand­lun­gen ange­se­hen wird. Kin­der ler­nen immer frü­her sexu­el­le Prak­ti­ken Erwach­se­ner ken­nen, Jugend­or­ga­ni­sa­tio­nen von Bun­des­tags­par­tei­en for­dern die Abschaf­fung des Inzest­ver­bots und Täter kom­men immer wie­der mit mil­den Stra­fen davon – obwohl die Rück­fall­quo­te enorm ist.

Laut offi­zi­el­len Zah­len des BKA in Ver­bin­dung mit einer ange­nom­me­nen Dun­kel­zif­fer von 1:15 – 1:25 sitzt aktu­ell in jeder ein­zel­nen Schul­klas­se min­des­tens ein Kind, das sexu­ell miss­braucht wird.

https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/AktuelleInformationen/Infografiken/Sonstige/kindlicheGewaltopfer_PKS2021.pdf?__blob=publicationFile&v=5

Das heißt, wir reden von hun­dert­tau­sen­den Kin­dern, allein in Deutsch­land, die Opfer von Sexu­al­ge­walt wer­den. Kin­der­han­del und Pädo­r­in­ge sind hier noch nicht ein­ge­rech­net aus den genann­ten Gründen.

Unse­re Kin­der befin­den sich im Faden­kreuz von Straf­tä­tern. Welt­weit. Und noch nie war es leich­ter als heu­te für Pädo­phi­le, Groo­mer und Men­schen­händ­ler, sich zu orga­ni­sie­ren, Fil­me und Bil­der zu tei­len, Stra­te­gien zu ent­wi­ckeln und Kin­der zu kau­fen oder zu ver­kau­fen. Aber es war auch noch nie leich­ter als heu­te, die­se Leu­te ding­fest machen zu kön­nen. Die Mit­tel sind eigent­lich da. Die Wege auch. Man muss es nur wol­len.

Die­je­ni­gen, die den Film in die rech­te Ecke rücken, wol­len es offen­bar nicht. Ihnen ist es wich­ti­ger, über ech­te oder ver­meint­li­che Ver­schwö­run­gen zu spre­chen anstatt über den real exis­tie­ren­den Skan­dal, der dar­in besteht, dass Kin­der orga­ni­siert zu Opfern von Sexu­al­straf­tä­tern wer­den.

Aber wir kön­nen dar­über spre­chen. Und jeder von uns kann dazu bei­tra­gen. Wir müs­sen die Augen offen­hal­ten, auf Ver­än­de­run­gen im Ver­hal­ten von bekann­ten Kin­dern ach­ten, Zei­chen lesen ler­nen. Wir müs­sen klar nein sagen, wenn etwas gegen unser Bauch­ge­fühl geschieht, wenn uns etwas nicht behagt, selt­sam vor­kommt. Es sind klei­ne Din­ge, die aber das Größ­te sein kön­nen für Betrof­fe­ne. Ich hät­te mir in mei­ner Kind­heit Leu­te gewünscht, die für mich gespro­chen hät­ten, doch es haben alle weg­ge­schaut.

Wir leben in einer Zeit, in der wir mehr Mög­lich­kei­ten haben als jemals zuvor. Wir haben alle Infor­ma­tio­nen jeder­zeit ver­füg­bar. Doch wir lesen meist nur Über­schrif­ten und schau­en bei Unan­ge­neh­mem lie­ber weg. Weg­schau­en ist ver­ständ­lich, aber das hilft letzt­lich nur den Tätern.


Der Film „Sound of Free­dom“ läuft in den USA der­zeit im Kino, soll aber spä­ter auf der Sei­te der Pro­duk­ti­ons­fir­ma ggf. kos­ten­los als Stream abruf­bar sein. Wann ist nicht bekannt.

Link zur Pro­duk­ti­ons­fir­ma:
https://www.angel.com/watch

Milosz Matu­schek zu Sound of Free­dom:
„Sound of Free­dom“: Ist der Kampf für Kin­der­rech­te jetzt auch schon „rechts“? (freischwebende-intelligenz.org)

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