Frauen in der Musik sichtbar machen

Eva Rieger wird das Bundesverdienstkreuz verliehen

von | 9.04.24

Prof. Dr. Eva Rieger[1], eine Frau, deren Lebenswerk die Musikkultur nachhaltig geprรคgt hat, wird das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen โ€“ eine Anerkennung, die nicht nur ihren akademischen und kulturellen Beitrag wรผrdigt, sondern auch ihre tiefgreifenden Bemรผhungen, die Rolle der Frau in der Musik sichtbar zu machen und zu stรคrken.

โ€žDie Vernachlรคssigung der Frau in der Musikkultur, das war das Thema, das uns berรผhrt hat.โ€œ

Quelle: Rieger, Eva, Interview durch Archiv Frau und Musik, Frankfurt a.M. 2019, S. 1.[2]

Geboren im November 1940 auf der Insel Man, erlebte Eva Rieger eine multinationale Jugend, die sie mit 12 Jahren nach Deutschland fรผhrte. Ihre akademische Karriere umspannte renommierte Universitรคten wie Gรถttingen, Hildesheim und Bremen, bevor sie sich im Jahr 2000 in Vaduz/Liechtenstein niederlieรŸ. Selbst im Ruhestand bleibt sie eine engagierte und leidenschaftliche Verfechterin der Gleichberechtigung in der Musikkultur.

Rieger ist eine Pionierin auf dem Gebiet der Geschlechterforschung in der Musik. Ihr Schaffen umfasst die Aufarbeitung der Geschichte von Frauen in der Musik, die Fรถrderung und (internationale) Vernetzung von Musikerinnen, Dirigentinnen und Komponistinnen sowie die unermรผdliche Arbeit fรผr Gleichberechtigung. Als Beirรคtin des Forschungszentrums Musik und Gender an der Hochschule fรผr Musik, Theater und Medien Hannover[3] setzt sie ihr Engagement fort, unterstรผtzt durch die Mariann Steegmann Stiftung.

โ€žFeminismus muss immer mit Politik verbunden sein, wir mรผssen weiterkรคmpfen. Es gibt noch viel zu tun, auch in der konkreten Frauenfรถrderung.โ€œ

Quelle: Rieger, Eva, Interview durch Archiv Frau und Musik, Frankfurt a.M. 2019, S. 3.

Ihre Forschungen und Verรถffentlichungen, die von der Diskriminierung von Frauen in der deutschen Musikkultur bis hin zu Filmmusik und Musikpรคdagogik reichen, haben internationale Anerkennung gefunden. Rieger ist nicht nur eine gefragte Autorin, sondern auch eine Stimme, die deutlich macht, wie eng Feminismus und Politik miteinander verwoben sind.

Mit ihrem bahnbrechenden Werk von 1981: โ€žFrau, Musik und Mรคnnerherrschaft: zum Ausschluss der Frau aus der deutschen Musikpรคdagogik, Musikwissenschaft und Musikausรผbungโ€œ, hat sie ein starkes feministisches Zeichen gesetzt, das in zahlreichen weiteren Publikationen fortgesetzt wurde. 2018 erscheint: โ€žFriedelind Wagner – Die rebellische Enkelin Richard Wagnersโ€œ und im Mรคrz 2024 Riegers neuestes Buch: eine edierte Briefauswahl zwischen Richard Wagner und seiner ersten Frau.[4]

Als Mitbegrรผnderin des Forschungszentrums Musik und Gender an der Hochschule fรผr Musik, Theater und Medien Hannover, des Sophie Drinker Instituts und der Plattform ‘Musik und Gender im Internet’ hat sie bleibende Institutionen geschaffen, die ihr Erbe weitertragen.

Riegers persรถnliche Reise war ebenso bemerkenswert. Ihre aktive Beteiligung in den Anfangsjahren der 70er Jahre Lesbenbewegung an der Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW), dem Lesbischen Aktionszentrum (LAZ) in Berlin, dem Frauenbuchladen Labrys, der L74[5] und der UKZ[6] zeugt von ihrem Mut, gesellschaftliche Normen herauszufordern und sich fรผr die Rechte von Minderheiten einzusetzen. Mit 30 Jahren erlebt sie ihre erste Beziehung mit einer Frau und erkennt 1976 wรคhrend der ersten Berliner Sommeruniversitรคt[7] fรผr Frauen, dass sie politisch aktiv werden muss.

Die groรŸe Wertschรคtzung, die Eva Rieger von ihren Wegbegleitern und Freundinnen entgegengebracht wird โ€“ Statements finden sich am Ende des Artikels โ€“ spiegelt die Tiefe ihres Einflusses wider. Sie ist nicht nur eine herausragende Wissenschaftlerin und Aktivistin, sondern auch eine Inspiration fรผr alle, die fรผr Gleichberechtigung von Frauen und Anerkennung im kulturellen Sektor kรคmpfen.

Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Prof. Dr. Eva Rieger ist eine Feier ihres unermรผdlichen Einsatzes und ihres auรŸergewรถhnlichen Beitrags zur Musikwissenschaft und zur Fรถrderung der Frauen in der Musikkultur. Wir gratulieren ihr von Herzen zu dieser wohlverdienten Auszeichnung!


Statements der Wegbegleiterinnen und Freundinnen

โ€žDu warst – vor mehr als 40 Jahren – in den End -70igern meine Wegbereiterin zur lesbischen Aktivistin. Dein mutiges Coming Out als frauenliebende Frau im Kreis der ahnungslosen SeminaristInnen legte bei mir das Feuer fรผr meinen Lesbenweg.

Dein couragiertes Auftreten im Zeitenwende – Film โ€žUnd wir nehmen uns unser Rechtโ€œ tat ein รœbriges, wie die gemeinsamen Zeiten im LAZ, dem Frauenbuchladen Labrys, der L74 und der UKZ in den Frรผhzeiten der Lesbenbewegung.

Unsere Freundschaft ist jetzt รผber 40 Jahre alt . Du warst mir stets eine tolerante, begeisterungsfรคhige, kritische, grosszรผgige Freundin. Ich bewundere Dich nicht nur als liebenswรผrdige kรคmpferische Streitkulturanhรคngerin, als nimmermรผde Schriftstellerin und Forscherin, als dezidierte Feministin, sprรผhende Initiatorin vieler Frauenprojekte, sondern auch als Meisterin des โ€žComic Reliefโ€œ in brenzligen Situationen, als schmissige Stepptรคnzerin, als stimulierende Pianistin und gewitzte Erzรคhlerin.

Ich bin Dir dankbar fรผr immer neue Anregungen und deine dauerhafter Zuneigung. Ich schรคtze Dich von Herzen fรผr Deine unverbrรผchliche Treue und einfรผhlsame Zuneigung in unserer Freundschaft.โ€œ

Christiane von Lengerke

โ€žSchon in den 70er Jahren habe ich als junge, frauenbewegte Kunsthistorikerin immer wieder inspiriert zu Dir rรผbergeschaut, in die Schwesterdisziplin der Musikwissenschaft, was Du dort fรผr die Frauen- und Geschlechterforschung (wieder-)entdeckst – und seit mittlerweile 50 Jahren auch fรผr heute und morgen bewahren hilfst, als unser kulturelles Erbe.

Deswegen soll hier nicht von Dir als Freundin die Rede sein, sondern von der Forscherin!

Also von einer hรถchst produktiven und innovativen Musikwissenschaftlerin, die auch ihre Fachbรผcher fantastisch lesbar und anregend schreibt. (Kein Wunder, dass sie auch in GroรŸbritannien, Schweden, Japan und Sรผdkorea gelesen wird!)

Denn auch das macht Deine Kunst aus, und ist รผberhaupt keine Nebensรคchlichkeit: Du bietest eben nicht nur Stoff fรผr musikgeschichtlich Interessierte oder gar Wagnerianerinnen und Wagnerianer!

Ausgegangen warst Du von der Wiederentdeckung, ich mรถchte sagen: โ€žWiederbelebungโ€œ der Frauen in der Musikgeschichte. Aber darรผber hinaus entfaltest Du bis heute ein weites Panorama, รถffnest Fenster in alle Himmelsrichtungen, verbindest Geschlechtergeschichte, Musikgeschichte, jeweilige Kultur- und Zeitgeschichte – Anknรผpfungspunkte fรผr vielfarbige Interessen und Aha-Erlebnisse, fรผr jede und jeden.

Akademischer Jargon? Den beherrschst Du, trรคgst ihn aber nicht zur Schau. Phrasen sind Dir fremd, auf feministische Ausrufezeichen verzichtest Du, hรคltst Leserschaft und Zuhรถrende fรผr klug genug und begierig, sich ein eigenes Bild zu machen.

Nebenbeiโ€ฆwelche Wissenschaftlerin singt schon in ihren Vortrรคgen? Um Deine Interpretationen sinnlich wahrnehmbar zu machen, trรคgst Du immer wieder musikalische Motive vor, fรผgst sie ganz selbstverstรคndlich ein ins gesprochene Wort; in den Youtube-Aufzeichnungen wird spรผrbar, wie gut das bei der Zuhรถrerschaft ankommt!

Liebe Eva, ich freue mich auf Deine nรคchsten Werkeโ€ฆund weiter amรผsanten Austausch รผber Fachfernes, – was grรผnt und blรผht, auf zwei oder vier Beinen lรคuft, was auf Rรคdern rollt und Flรผgel hat und auch Musik in unseren Ohren macht. ;))โ€œ

Prof. Dr. Cรคcilia (Cillie) Rentmeister

โ€žZunรคchst mein persรถnliches Verdienstkreuz: Auf Deinem Motorroller hast Du mich in die Lesbenwelt eingefรผhrt. Unvergesslich und sehr bestรคrkend. Ich war damals auf der Suche nach FrauenLesbenorten und Du warst aktiv im LAZ. Was hรคtte mir Besseres passieren kรถnnen?

Und dann warst Du im LAZ-Film โ€œโ€ฆ.und wir nehmen uns unser Rechtโ€œ prรคsent. Bundesweit ausgestrahlt. Das erforderte damals viel Mut, auch wenn die Shitstorms des digitalen Zeitalters Euch noch erspart blieben. Fรผr uns in der Provinz ein Dokument der Selbstermรคchtigung.

Die Gruppe L74 und die UKZ (Unsere Kleine Zeitung) habe ich durch Dich kennengelernt und damit auch die Erfahrung mit รคlteren Lesben, die uns Jungschen was zu erzรคhlen hatten.

Und dann hast Du die Themen โ€žFrau, Musik und Mรคnnerherrschaftโ€œ und was das miteinander zu tun hat, aufgegriffen. Ein Fundus an Aufklรคrung รผber die Frauen im Schatten der Mรคnner. Wie ein roter Faden zieht sich die Parteinahme fรผr sie durch Deine Schriften: Isolde, Minna, Friedelind, Nannerl und wie sie alle hieรŸen, hast Du aus dem Vergessen geholt.

Ich weiรŸ ja: โ€žDas Werk zรคhlt und nicht die Personโ€œ. So die Devise Deiner sprichwรถrtlichen Bescheidenheit. Was Dein โ€žWerkโ€œ betrifft, da habe ich aufgehรถrt zu zรคhlen und wenn ich morgens schon in meinen Mails die neuesten Pressenachrichten zu unseren Themen vorfinde, weiรŸ ich, dass Du schon eine umfangreiche Lektรผre hinter Dir hast, wo ich gerade erst aufgewacht bin. Ich frage mich hรคufig, wie Du das alles schaffst neben Deinen Reisen und vielfรคltigen Aktivitรคten.

Nun hast Du, Dank der Mariann-Steegmann-Stiftung, die Mรถglichkeit, feministisch-lesbische Aktivitรคten zu unterstรผtzen, und Du tust es, wie ich immer wieder dankbar feststelle.”

Dr. Astrid Osterland


[1] http://www.eva-rieger.de/

[2] https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/eva-rieger

[3] https://www.fmg.hmtm-hannover.de/de/start/

[4] Gemeinsame Normdatei (GND) der Deutschen Nationalbibliothek: https://d-nb.info/gnd/118018671

[5] https://feministberlin.de/basis/lesben/l-74/

[6] https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/2BLE2MTMZU2FZR5IN2K4T3AHBO6KN3WY

[7] https://feministberlin.de/sommeruni/verzeichnisse-der-beitraege/

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