Prof. Dr. Eva Rieger[1], eine Frau, deren Lebenswerk die Musikkultur nachhaltig geprägt hat, wird das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen – eine Anerkennung, die nicht nur ihren akademischen und kulturellen Beitrag würdigt, sondern auch ihre tiefgreifenden Bemühungen, die Rolle der Frau in der Musik sichtbar zu machen und zu stärken.
„Die Vernachlässigung der Frau in der Musikkultur, das war das Thema, das uns berührt hat.“
Quelle: Rieger, Eva, Interview durch Archiv Frau und Musik, Frankfurt a.M. 2019, S. 1.[2]
Geboren im November 1940 auf der Insel Man, erlebte Eva Rieger eine multinationale Jugend, die sie mit 12 Jahren nach Deutschland führte. Ihre akademische Karriere umspannte renommierte Universitäten wie Göttingen, Hildesheim und Bremen, bevor sie sich im Jahr 2000 in Vaduz/Liechtenstein niederließ. Selbst im Ruhestand bleibt sie eine engagierte und leidenschaftliche Verfechterin der Gleichberechtigung in der Musikkultur.
Rieger ist eine Pionierin auf dem Gebiet der Geschlechterforschung in der Musik. Ihr Schaffen umfasst die Aufarbeitung der Geschichte von Frauen in der Musik, die Förderung und (internationale) Vernetzung von Musikerinnen, Dirigentinnen und Komponistinnen sowie die unermüdliche Arbeit für Gleichberechtigung. Als Beirätin des Forschungszentrums Musik und Gender an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover[3] setzt sie ihr Engagement fort, unterstützt durch die Mariann Steegmann Stiftung.
„Feminismus muss immer mit Politik verbunden sein, wir müssen weiterkämpfen. Es gibt noch viel zu tun, auch in der konkreten Frauenförderung.“
Quelle: Rieger, Eva, Interview durch Archiv Frau und Musik, Frankfurt a.M. 2019, S. 3.
Ihre Forschungen und Veröffentlichungen, die von der Diskriminierung von Frauen in der deutschen Musikkultur bis hin zu Filmmusik und Musikpädagogik reichen, haben internationale Anerkennung gefunden. Rieger ist nicht nur eine gefragte Autorin, sondern auch eine Stimme, die deutlich macht, wie eng Feminismus und Politik miteinander verwoben sind.
Mit ihrem bahnbrechenden Werk von 1981: „Frau, Musik und Männerherrschaft: zum Ausschluss der Frau aus der deutschen Musikpädagogik, Musikwissenschaft und Musikausübung“, hat sie ein starkes feministisches Zeichen gesetzt, das in zahlreichen weiteren Publikationen fortgesetzt wurde. 2018 erscheint: „Friedelind Wagner – Die rebellische Enkelin Richard Wagners“ und im März 2024 Riegers neuestes Buch: eine edierte Briefauswahl zwischen Richard Wagner und seiner ersten Frau.[4]
Als Mitbegründerin des Forschungszentrums Musik und Gender an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, des Sophie Drinker Instituts und der Plattform ‚Musik und Gender im Internet‘ hat sie bleibende Institutionen geschaffen, die ihr Erbe weitertragen.
Riegers persönliche Reise war ebenso bemerkenswert. Ihre aktive Beteiligung in den Anfangsjahren der 70er Jahre Lesbenbewegung an der Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW), dem Lesbischen Aktionszentrum (LAZ) in Berlin, dem Frauenbuchladen Labrys, der L74[5] und der UKZ[6] zeugt von ihrem Mut, gesellschaftliche Normen herauszufordern und sich für die Rechte von Minderheiten einzusetzen. Mit 30 Jahren erlebt sie ihre erste Beziehung mit einer Frau und erkennt 1976 während der ersten Berliner Sommeruniversität[7] für Frauen, dass sie politisch aktiv werden muss.
Die große Wertschätzung, die Eva Rieger von ihren Wegbegleitern und Freundinnen entgegengebracht wird – Statements finden sich am Ende des Artikels – spiegelt die Tiefe ihres Einflusses wider. Sie ist nicht nur eine herausragende Wissenschaftlerin und Aktivistin, sondern auch eine Inspiration für alle, die für Gleichberechtigung von Frauen und Anerkennung im kulturellen Sektor kämpfen.
Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Prof. Dr. Eva Rieger ist eine Feier ihres unermüdlichen Einsatzes und ihres außergewöhnlichen Beitrags zur Musikwissenschaft und zur Förderung der Frauen in der Musikkultur. Wir gratulieren ihr von Herzen zu dieser wohlverdienten Auszeichnung!
Statements der Wegbegleiterinnen und Freundinnen
„Du warst – vor mehr als 40 Jahren – in den End ‑70igern meine Wegbereiterin zur lesbischen Aktivistin. Dein mutiges Coming Out als frauenliebende Frau im Kreis der ahnungslosen SeminaristInnen legte bei mir das Feuer für meinen Lesbenweg.
Dein couragiertes Auftreten im Zeitenwende – Film „Und wir nehmen uns unser Recht“ tat ein Übriges, wie die gemeinsamen Zeiten im LAZ, dem Frauenbuchladen Labrys, der L74 und der UKZ in den Frühzeiten der Lesbenbewegung.
Unsere Freundschaft ist jetzt über 40 Jahre alt . Du warst mir stets eine tolerante, begeisterungsfähige, kritische, grosszügige Freundin. Ich bewundere Dich nicht nur als liebenswürdige kämpferische Streitkulturanhängerin, als nimmermüde Schriftstellerin und Forscherin, als dezidierte Feministin, sprühende Initiatorin vieler Frauenprojekte, sondern auch als Meisterin des „Comic Relief“ in brenzligen Situationen, als schmissige Stepptänzerin, als stimulierende Pianistin und gewitzte Erzählerin.
Ich bin Dir dankbar für immer neue Anregungen und deine dauerhafter Zuneigung. Ich schätze Dich von Herzen für Deine unverbrüchliche Treue und einfühlsame Zuneigung in unserer Freundschaft.“
Christiane von Lengerke
„Schon in den 70er Jahren habe ich als junge, frauenbewegte Kunsthistorikerin immer wieder inspiriert zu Dir rübergeschaut, in die Schwesterdisziplin der Musikwissenschaft, was Du dort für die Frauen- und Geschlechterforschung (wieder-)entdeckst – und seit mittlerweile 50 Jahren auch für heute und morgen bewahren hilfst, als unser kulturelles Erbe.
Deswegen soll hier nicht von Dir als Freundin die Rede sein, sondern von der Forscherin!
Also von einer höchst produktiven und innovativen Musikwissenschaftlerin, die auch ihre Fachbücher fantastisch lesbar und anregend schreibt. (Kein Wunder, dass sie auch in Großbritannien, Schweden, Japan und Südkorea gelesen wird!)
Denn auch das macht Deine Kunst aus, und ist überhaupt keine Nebensächlichkeit: Du bietest eben nicht nur Stoff für musikgeschichtlich Interessierte oder gar Wagnerianerinnen und Wagnerianer!
Ausgegangen warst Du von der Wiederentdeckung, ich möchte sagen: „Wiederbelebung“ der Frauen in der Musikgeschichte. Aber darüber hinaus entfaltest Du bis heute ein weites Panorama, öffnest Fenster in alle Himmelsrichtungen, verbindest Geschlechtergeschichte, Musikgeschichte, jeweilige Kultur- und Zeitgeschichte – Anknüpfungspunkte für vielfarbige Interessen und Aha-Erlebnisse, für jede und jeden.
Akademischer Jargon? Den beherrschst Du, trägst ihn aber nicht zur Schau. Phrasen sind Dir fremd, auf feministische Ausrufezeichen verzichtest Du, hältst Leserschaft und Zuhörende für klug genug und begierig, sich ein eigenes Bild zu machen.
Nebenbei…welche Wissenschaftlerin singt schon in ihren Vorträgen? Um Deine Interpretationen sinnlich wahrnehmbar zu machen, trägst Du immer wieder musikalische Motive vor, fügst sie ganz selbstverständlich ein ins gesprochene Wort; in den Youtube-Aufzeichnungen wird spürbar, wie gut das bei der Zuhörerschaft ankommt!
Liebe Eva, ich freue mich auf Deine nächsten Werke…und weiter amüsanten Austausch über Fachfernes, – was grünt und blüht, auf zwei oder vier Beinen läuft, was auf Rädern rollt und Flügel hat und auch Musik in unseren Ohren macht. ;))“
Prof. Dr. Cäcilia (Cillie) Rentmeister
„Zunächst mein persönliches Verdienstkreuz: Auf Deinem Motorroller hast Du mich in die Lesbenwelt eingeführt. Unvergesslich und sehr bestärkend. Ich war damals auf der Suche nach FrauenLesbenorten und Du warst aktiv im LAZ. Was hätte mir Besseres passieren können?
Und dann warst Du im LAZ-Film “….und wir nehmen uns unser Recht“ präsent. Bundesweit ausgestrahlt. Das erforderte damals viel Mut, auch wenn die Shitstorms des digitalen Zeitalters Euch noch erspart blieben. Für uns in der Provinz ein Dokument der Selbstermächtigung.
Die Gruppe L74 und die UKZ (Unsere Kleine Zeitung) habe ich durch Dich kennengelernt und damit auch die Erfahrung mit älteren Lesben, die uns Jungschen was zu erzählen hatten.
Und dann hast Du die Themen „Frau, Musik und Männerherrschaft“ und was das miteinander zu tun hat, aufgegriffen. Ein Fundus an Aufklärung über die Frauen im Schatten der Männer. Wie ein roter Faden zieht sich die Parteinahme für sie durch Deine Schriften: Isolde, Minna, Friedelind, Nannerl und wie sie alle hießen, hast Du aus dem Vergessen geholt.
Ich weiß ja: „Das Werk zählt und nicht die Person“. So die Devise Deiner sprichwörtlichen Bescheidenheit. Was Dein „Werk“ betrifft, da habe ich aufgehört zu zählen und wenn ich morgens schon in meinen Mails die neuesten Pressenachrichten zu unseren Themen vorfinde, weiß ich, dass Du schon eine umfangreiche Lektüre hinter Dir hast, wo ich gerade erst aufgewacht bin. Ich frage mich häufig, wie Du das alles schaffst neben Deinen Reisen und vielfältigen Aktivitäten.
Nun hast Du, Dank der Mariann-Steegmann-Stiftung, die Möglichkeit, feministisch-lesbische Aktivitäten zu unterstützen, und Du tust es, wie ich immer wieder dankbar feststelle.“
Dr. Astrid Osterland
[2] https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/eva-rieger
[3] https://www.fmg.hmtm-hannover.de/de/start/
[4] Gemeinsame Normdatei (GND) der Deutschen Nationalbibliothek: https://d‑nb.info/gnd/118018671
[5] https://feministberlin.de/basis/lesben/l‑74/
[6] https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/2BLE2MTMZU2FZR5IN2K4T3AHBO6KN3WY
[7] https://feministberlin.de/sommeruni/verzeichnisse-der-beitraege/