1. Was geschieht gerade?
Mit dem modern wirkenden Namen ‚Selbstbestimmungsgesetz‘ (SBGG) wird in den kommenden Monaten ein Gesetz[i] im Parlament beraten werden, das tiefgreifende Auswirkungen auf ALLE Bevölkerungsgruppen haben wird, obwohl es spezifisch für den Schutz „lang diskriminierter Minderheiten“ gedacht ist.[ii] Nach dem Willen des Bundeskabinetts soll die Geschlechtszugehörigkeit zukünftig für alle Bürgerinnen und Bürger ab 14 Jahren frei wählbar und gemäß der persönlichen Selbstdefinition amtlich verbindlich werden. Der Öffentlichkeit wird vermittelt, dieses Vorgehen sei der einzige Weg, um diskriminierten Minderheiten zu mehr Rechten zu verhelfen und ein gesellschaftlicher Fortschritt. Die zuständige Familienministerin Lisa Paus erhofft sich, hiermit „eine offene, vielfältige und moderne Gesellschaft zu schaffen“.[iii]
Hier finden Sie die Links zu den 25 Stellungnahmen.
Regelungen dieser Art werden als ‚Self-ID-Gesetze‘ (Selbstidentifizierungsgesetze) bezeichnet und sind seit ihrem Auftauchen weltweit umstritten. Die Ankündigung der Regierung führt auch in Deutschland zu breitem fachlichem Widerspruch und politisch aufgeheizten Kontroversen.
2. Was ging dem voraus?
Das Vorhaben ‚Selbstbestimmungsgesetz‘ hat Vorläufer. Im Juni 2020 wurde von den damaligen Oppositionsparteien FDP und Bündnis 90/Die Grünen diese Idee in den Bundestag eingebracht.[iv] Damals wurde sie von der Mehrheit des Bundestages abgelehnt. Nach der Bundestagswahl 2021 fand sie dennoch Einzug in den Koalitionsvertrags der neu sich konstituierenden Ampelregierung. Dort wurde festgelegt: „Wir werden das Transsexuellengesetz (TSG) abschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen. Dazu gehören ein Verfahren beim Standesamt, das Änderungen des Geschlechtseintrags im Personenstand grundsätzlich per Selbstauskunft möglich macht“.[v] Feministische Gruppen und Lesben- und Schwulenorganisationen formulierten umgehend ihre fachlichen Bedenken.[vi] Auf deren Kritik reagierten identitätspolitisch orientierte Gruppierungen mit persönlichen Verleumdungen, Transphobie-Vorwürfen und massiven Shitstorm-Kampagnen, die unter anderem das Lesbenfrühlingstreffen (LFT) 2021 in Bremen trafen und existenziell bedrohten.[vii]
Regional und bundesweit schließen sich seit 2021 immer mehr Frauen und Lesben in neuen Initiativen, Gruppen und Bündnissen zusammen, um ihrer Kritik an dem Gesetzesvorhaben gemeinsam mehr Gehör zu verschaffen. Ur-Mütter der Frauenbewegung der 1970er Jahre sind darin ebenso aktiv wie ihre Töchter, Enkelinnen und Urenkelinnen. Sie trotzen auf den Straßen und vor Gerichten mutig den Diffamierungen und Angriffen seitens identitätspolitisch orientierter Gruppierungen.
Im Mai 2023 stellten das Familienministerium (BMFSFJ) und Ministerium für Justiz (BMJ) einen Referentenentwurf für das SBGG der Öffentlichkeit vor und leiteten die Verbändeanhörung ein, um fachliche Rückmeldungen zu bekommen.[viii] Zahlreiche Frauen und Frauenorganisationen nahmen die Gelegenheit war, ihre Expertisen einzubringen und sie den Ministerien in Form von Stellungnahmen zur Verfügung zu stellen.
3. Wer nimmt kritisch Stellung?
Die Initiative ‚Lasst Frauen Sprechen!‘[ix] hat im feministischen Umfeld über die Sozialen Medien dazu angeregt, die bei der Verbändeanhörung fristgerecht eingereichten Self-ID-kritischen Expertisen zu archivieren. Sie erhielt Kenntnis von 25 Gruppen, Initiativen, Netzwerken, Projekten, Parteien, Vereinen und Verbänden und veröffentlichte ihre Stellungnahmen auf ihrer Homepage.[x] Sie werden trotz unterschiedlicher Größe und Organisationsstruktur im Folgenden einheitlich als ‚Organisationen‘ bezeichnet.
Die archivierten Schriften sind historische Dokumente einer sachkundigen, mehrheitlich feministischen und radikalfeministischen Bewegung, die sich mit dem Gesetzesvorhaben auseinandergesetzt hat. Diese Dokumente zeugen vom Ausmaß der negativen Folgen für Frauen und Mädchen.
Die Stellungnahmen wurden eingereicht von:
- Arbeitskreis Geschlechtsbasierte Rechte der Frau (AK-GRF)
- Deep Green Resistance (DGR)
- Discussion & Action (D&A)
- Europäische Gesellschaft für Geschlechtergerechtigkeit e.V. / Deutschland (EGG)
- Fachtagung Frauenrechte
- Feministische Partei DIE FRAUENDeep Green Resistance (DGR)
- Frauen Aktion München (Fam)
- FrauenAktionsBündnis (FAB)
- Frauen- und Kinderhaus Uelzen e.V.
- Frauenheldinnen e.V.
- Fraueninitiative WeiberZorn
- Frauenlandhaus Charlottenberg Kultur- u. Begegnungsstätte für Frauen e.V.
- FrauenLesbenNetz – Bundesweite Initiative lesbischer Frauen
- FREIE WÄHLER DIE FRAUEN Bayern
- Geschlecht zählt
- Initiative „Lasst Frauen Sprechen!“
- Landesfrauenrat Baden-Württemberg
- Lesbisches Aktionszentrum LAZ reloaded e.V.
- LGB Alliance e.V. Deutschland
- Netzwerk „Starke Themen“
- radfem kollektiv berlin
- SAFIA e.V. Lesben gestalten ihr Alter
- SISTERS – Für den Ausstieg aus der Prostitution! e.V.
- The Real Dyke March – Viele wütende Lesben
- Women’s Declaration International Deutschland (WDI)[xi]
Bei den 25 Organisationen handelt es sich um Frauenorganisationen, fünf davon sind Lesbenorganisationen, in einzelnen Gruppen sind Frauen gemeinsam mit Männern und transidenten Menschen feministisch aktiv. Die überwiegende Mehrzahl der Organisationen ist auf Bundesebene, zwei auf Landesebene, sechs auf Lokalebene aktiv, drei sind Teil einer europa- und weltweit aktiven Organisation. Drei Stellungnahmen kommen aus Parteien und parteinahen Zusammenschlüssen.
Insgesamt ist festzuhalten, dass circa die Hälfte aller Organisationen seit Jahrzehnten besteht, die andere Hälfte hat sich in den letzten Jahren aufgrund der Empörung über ein geplantes Self-ID-Gesetz gegründet. Mehrheitlich sind alle Stellungnahmen – der Maßgabe der Ministerien entsprechend – kurz auf wenigen Seiten verfasst. Ausnahmen bilden die Stellungnahmen der Europäischen Gesellschaft für Geschlechtergerechtigkeit, des Lesbischen Aktionszentrums LAZ reloaded und der LGB Alliance, die in Form umfangreicher Gutachten von über zwanzig Seiten sich entlang der einzelnen Paragrafen mit dem Gesetz auseinandersetzen. Sie stellen eine Fundgrube nationaler und internationaler Studien und juristischer Argumentationen dar, die für eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Gesetz von großem Nutzen sind. In der erforderlichen Knappheit dieses Artikels können sie nur ansatzweise wiedergegeben werden. Es empfiehlt sich bei allen 25 Stellungnahmen jeweils der Blick ins Original.[xii]
4. Zusammenfassung der wesentlichen Aussagen
Gemeinsam ist allen Stellungnahmen, dass sie sachlich begründet den Referentenentwurf zum SBGG ablehnen. Die Begründungen knüpfen an wissenschaftlichen Erkenntnissen, juristischem Sachverstand und konkreten Erfahrungen an. Einige formulieren dies klassenkämpferisch, andere staatstragend. In der folgenden Analyse findet eine Fokussierung auf die Themen: ‚Titel und Zielsetzung‘, ‚Frauenrechte‘, ‚Geschlecht und Geschlechtsidentität‘, ‚Lesbenrechte‘, ‚Jugendschutz‘‚ ‚Sicherheit‘ und ‚Demokratie‘ statt. In den Stellungnahmen werden weitaus mehr Themen angesprochen, wie z.B.: Hausrecht, Offenbarungsverbot, Fairness im Sport, Datensicherheit und Wehrpflicht. Da diese Themen in der medialen Öffentlichkeit bereits wahrgenommen werden, werden sie hier aus Platzgründen nicht explizit behandelt.
4.1 Titel und Zielsetzung
Für einige Organisationen beginnt die Kritik am Gesetz beim Titel ‚Selbstbestimmungsgesetz‘. Sie bezeichnen ihn als „falsch“, da Geschlecht eine unveränderbare biologische Tatsache sei, die nicht selbst bestimmt werden könne. Das SBGG werde „bereits durch seinen Titel“ als „Ding der Unmöglichkeit“ angesehen (WeiberZorn 2023, 1). Es wird darauf verwiesen, dass das geplante Gesetz offensichtlich „Teil einer fragwürdigen Identitätspolitik“ sei (Freie Wähler 2023, 4). Die Zielsetzung wäre „unlauter“ und beruhe auf einer „ideologisch-motivierten Prämisse“. Das SBGG gäbe vor „die Rechte einer Minderheit zu verbessern, während es in Wahrheit für alle Bürgerinnen und Bürger ein fundamentales Strukturmerkmal der Gesellschaft“ verändern würde (Frauenheldinnen 2023, 1). Es wird ausgeführt, dass sich die Zielgruppe, weg von einer kleinen Anzahl, hin zu einem Gesetz für alle Menschen erweitert habe. Es sei nicht mehr, wie von der Bundesregierung angekündigt, eine Reform des Transsexuellengesetzes (TSG), sondern „ein gänzlich neues Gesetz“ (Lasst Frauen Sprechen 2023, 1). ExpertInnen des TSG bedauern, dass es nicht nur Auswirkungen auf „erwachsene transidente Menschen“ hätte, sondern auf „alle anderen Bevölkerungsgruppen“ und die angestrebte gesellschaftliche Akzeptanz transidenter Menschen, die grundsätzlich auf einem guten Weg gewesen sei, „so nicht erreicht werden“ könne (Starke Themen 2023, 1 ff.). Es wird kritisiert, dass der Gesetzgeber trotz Ausweitung der Zielgruppe „auf jegliche Prüfung des Wahrheitsgehalts“ verzichte und „nicht einmal eine Plausibilitätsprüfung“ eingeplant sei. Dies würde „den Geboten der Normenbestimmtheit und der Normenklarheit“ widersprechen“ (LAZ reloaded 2023, 8).
Frauenrechte
Das SBGG, so wird mehrfach gemahnt, würde die durch Grundgesetz und CEDAW „bindend zugesicherten Rechte“ für Frauen aushebeln (Sisters 2023, 1). Aus ihnen ergäbe sich zwingend eine „staatliche Schutzpflicht für die weibliche Bevölkerung“. Es sei „vollkommen unstrittig“, dass das CEDAW-Abkommen sich auf biologische Frauen beziehe, auch wenn nationale Übersetzungen „gelegentlich manipuliert“ und dies „vergessen“ würde (Fam 2023, 3). Gemäß Grundgesetz seien „Diskriminierungen auf Basis des Geschlechts“ abzubauen, dafür müsse Geschlecht „weiterhin eindeutig in Statistiken“ abgebildet werden“ (AK-GRF 2023, 1). Es wird daran erinnert, dass Frauen und Mädchen „eine Klasse von Menschen“ seien, die aufgrund ihres Geschlechts unterdrückt würden und daher „den Bedarf und das Recht“ hätten, sich zu benennen. Ohne dieses Recht verlören sie die Macht, sich „als Klasse zu organisieren“. Es wird als „Frauenverachtung“ gesehen, wenn ein Gesetzentwurf „Männern die legale Fiktion einräumt, ihr Geschlecht zu ändern und daher das gesamte Frausein in eine legale Fiktion“ verwandle. Jedes Gesetz, das so eine Fiktion beabsichtige, sei „verantwortungslos“ (radfem kollektiv 2023, 1).
Geschlecht und Geschlechtsidentität
Dem SBGG wird eine „geschlechtsverleugnende Ideologie“ testiert, die versucht, das von der Transgender-Rechtsbewegung geforderte „angebliche Menschenrecht“ auf eine freie Geschlechtswahl durchzusetzen, obwohl es dieses Recht nicht gäbe (Geschlecht zählt 2023, 1 ff.). Es wird klargestellt, „die Realität des biologischen Geschlechts“ könne nicht zugunsten einer ‚gefühlten‘ nicht definierten ‚Geschlechtsidentität‘ ersetzt werden (Fachtagung 2023, 1).
‚Frau‘ sei eine körperbezogene Kategorie und ihre Diskriminierung stünde im Zusammenhang mit ihren „reproduktiven“ Kräften (FAB 2023, 1).
Der Gesetzgeber habe dies in den 1980er Jahren bei der Einführung des Transsexuellengesetzes berücksichtigt. Er habe Männer, die über das TSG den fiktiven Geschlechtseintrag ‚weiblich‘ erhielten, ausdrücklich von „der damals gültigen Rentenregelung“, ausgenommen, die Frauen generell ermöglichte, früher als Männer in Rente zu gehen (LGB Alliance 2023, 2). Es wird problematisiert, dass jeder Mann mit Penis, Bart und Glatze sich zukünftig zur Frau erklären könne und daraus die „absurde konzeptuelle/sprachliche Konsequenz“ entstünde, dass „ein Penis kein originär männliches Geschlechtsorgan mehr sein würde“ (AK-GRF 2023, 1). Dem Gesetz lägen „quasi-religiöse Prämissen zugrunde“, wonach eine „geschlechtliche Seele“ existiere. Dies sei „eine Glaubensfrage“, die in einem säkularen Staat „unangebracht“ sei (EGG 2023, 1). Bei ‚Geschlechtsidentität‘ handle es sich um einen „unbestimmten Rechtsbegriff“, da eine Definition im SBGG fehle (Frauenlandhaus 2023, 1). Das SBGG widerspräche den Grundsätzen „ordnungsgemäßer, verfassungsmäßiger gesetzgeberischer Tätigkeit“ und würde einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht standhalten (Frauenheldinnen 2023, 1 und 4). Es wird auf die bisherige Rechtslage verwiesen, wonach „Geschlecht, Alter und Geburtsort im Personenstand nicht nach Selbstauskunft, sondern nach Faktenlage eingetragen“ würden (Landesfrauenrat 2023, 1f.). Grundsätzlich kritisch angemerkt wird, dass das SBGG keine Alternative vorsähe. Dies sei Ausdruck einer „sehr vereinfachenden und polarisierenden Entweder-oder-Logik“, insbesondere da sich in den Verweisen „keine Kritik an der Selbstbestimmung des Geschlechts“ befände, obwohl es viele Kritikpunkte aus verschiedenen politischen Richtungen gäbe, gerade so, als sei „keine Nuancierung“ erlaubt (D&A 2023, 4).
Lesbenrechte und SBGG
Die Schreiberinnen erinnern daran, dass lesbische Frauen über 50 Jahre für ihre Rechte gekämpft und ihre eigenen Räume geschaffen hätten, in denen sie ihre „vielfältige Lesben-Kultur“ lebten. Heute würden sie von Männern, die sich Lesben nennen, bedrängt, ihnen Zugang zu ihren Räumen zu gewähren und sie als „Sexualpartnerinnen“ zu akzeptieren. Lehnten sie ab, würden sie „als ‚transphob‘, ‚Nazis‘ oder ‚Vaginafetischistinnen‘ beschimpft“ (Safia 2023, 1 und 2). Lesben auf Partnerinnensuche würden auf Dating-Portalen von Männern, „sexualisiert beleidigt und bedroht“, wenn sie deren Genital nicht als „Girl dick / Lady dick“ akzeptierten. Diese Männer bezeichneten den Widerstand von Lesben als „Cotton Ceiling“, als „Grenze aus Baumwolle“, analog zur Glass Ceiling, der „gläsernen Decke“ für Frauen. Gemeint sei mit Cotton Ceiling die „Unterwäsche von Frauen“, die ‚durchbrochen‘ werden solle, „indem diese Männer lesbische Frauen zum Geschlechtsverkehr“ drängten (FrauenLesbenNetz 2023, 1). Heterosexuelle Männer bekämen mit dem geplanten SBGG die „juristische Legitimation“, Zugang in Lesbenräume zu beanspruchen (LAZ reloaded 2023, 14). So würden die „letzten lesbischen Räume de facto“ abgeschafft (The Real Dyke March 2023, 1).
Jugendschutz, Elternrechte und SBGG
Viele Stellungnahmen lehnen das Self-ID Gesetz ab, weil es „zutiefst unethisch und gefährlich“ sei, Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, dass ‚Geschlecht‘ eine „nach Belieben veränderbare Kategorie“ sei (EGG 2023, 4). Einige gebrauchen in diesem Zusammenhang den Begriff „Kindeswohlgefährdung“, da das SBGG die Weichen stelle, dass Jugendliche „zu lebenslangen medizinischen Patienten“ würden (WDI 2023, 3).
Die Pubertät sei eine Zeit „rapider psychosexueller Entwicklung“, in der Jugendliche „notwendigerweise verschiedene soziale Rollen“ ausprobierten. In dieser Zeit seien sie in besonderem Maße gefährdet, ihr Geschlecht infrage zu stellen (Starke Themen 2023, 2).
Die Anzahl der Jugendlichen, die ihr Geschlecht ändern lassen wollten, würde „rapide“ wachsen. Der Staat signalisiere mit diesem Gesetz, dass die Geschlechtszugehörigkeit „einfach zu ändern sei“, dabei erhöhe deren Änderung das Risiko, dass „irreversible, komplikationsanfällige medizinische Maßnahmen“ folgten (FAB 2023, 2). Es wird als „staatlich legitimierte Konversionstherapie an minderjährigen Homosexuellen“ angesehen, da sie den Großteil der sogenannten ‚Transkinder‘ ausmachten (LGB Alliance 2023, 6). Im Gegensatz dazu sollten Jugendliche darin bestärkt werden, dass sie „mit ihrem Körper so leben und sich ausdrücken können, wie sie sich fühlen und wie sie leben“ wollten (Feministische Partei 2023, 2).
Im Hinblick auf Elternrechte wird darauf hingewiesen, dass Eltern durch das SBGG einerseits ermächtigt würden, ohne Untergrenze bis zum Alter von 14 Jahren für ihr Kind den Personenstandseintrag zu ändern, ohne dass das Kind gefragt würde „oder irgendeine Fachperson den Fall auch nur zu Gesicht bekäme“. Auf der anderen Seite würden ihre Rechte beschnitten, indem ihnen bei Nicht-Einwilligung zur Transition Jugendlicher über 14 Jahren, mit „Sorgerechtsentzug (SBGG S.38f)“ gedroht würde (Lasst Frauen Sprechen 2023, 3). Dies wird als eine Verpflichtung zur „Korrektur“ „nicht geschlechterrollenkonformer Kinder durch patriarchale Medizin und Ideologie“ wahrgenommen (DGR 2023, 2).
Sicherheit von Frauen und Mädchen
Viele lehnen das Gesetz ab, weil den „von Gewalt betroffenen Frauen und ihren Kindern“ die Sicherheit entzogen würde, „in männerfreien Räumen Schutz zu finden“ (Fachtagung 2023 2). Der konkrete Alltag in Frauenhäusern zeige, die Bedrohung für Frauen begänne nicht erst dann, wenn biologische Männer tatsächlich im Frauenhaus lebten. „Allein die Tatsache, dass ihre Aufnahme möglich“ sei, entzöge „den von Männern misshandelten, vergewaltigten und traumatisierten Frauen die Sicherheit, in einem Frauenhaus vor Männern geschützt zu sein“ (Frauenhaus 2023, 1).
Auch Frauenbildungsstätten sind Orte, die von Frauen für Frauen geschaffen wurden und Männer in diesen Häusern „mit Gemeinschaftsduschen und Sauna“ ablehnen. Dort wird befürchtet, zukünftig bei Abweisung eines Mannes, der behauptet eine Frau zu sein und das durch „einen Sprechakt vor dem Standesamt juristisch auch sein würde“, eine Anzeige „wegen Diskriminierung mit Berufung auf das Offenbarungsverbot“ zu erhalten. Sie verweisen auf die Gefahr finanzieller Strafen oder „die Streichung von öffentlichen Geldern, wie beim Lesbenfrühlingstreffen 2021 in Bremen“ geschehen. Allen Frauen, nicht nur jenen von sexualisierter Männergewalt Betroffenen, würde „die Sicherheit eines geschützten Raumes genommen“ (Frauenlandhaus 2023, 1). Es wird angemahnt, dass die „Interessenskonflikte“ zwischen Männern und Frauen politisch „völlig ignoriert“ würden. International sei sichtbar geworden, dass Self-ID Regelungen „gerade auch von Menschen ausgenutzt würden“, die „allein opportunistisch den Zugang zu Räumen von Frauen und Mädchen – und in letzter Konsequenz deren Körpern“ – ausnutzen würden. Es wird betont, dass kein Grund ersichtlich sei, „warum dies in Deutschland anders laufen sollte“. Dort seien Menschen nicht moralisch besser und Sexualstraftäter nicht anders als jene in anderen Ländern“ (EGG 2023, 11 f.) Es wird ausgeführt, dass in Folge von Self-ID Gesetzen „chilling effects“ einträten, indem Bürgerinnen und Bürger sich selbst beschränkten, um einem möglichen Schaden zuvorzukommen. Zum Beispiel, wenn Eltern ihren Töchtern den Besuch von Schwimmbädern oder Jugendherbergen verböten, weil es „zu riskant“ sei. Da dort „dissoziale Männer“ vermehrt die Chance nutzen und Self-ID-Gesetze zu Lasten von Frauen missbrauchen, so dass die Freiheit der weiblichen Bevölkerung „bereits vor dem konkreten Missbrauch“ enden würde (Weiberzorn 2023, 2 f.). Von anderen wird auf die Existenz der ‚Autogynophilie‘ bei Männern hingewiesen (sexuelle Erregung eines Mannes bei der Vorstellung, sich selbst als Frau zu inszenieren). Autogynophilie „könnte somit zu Lasten von Frauen und Mädchen ungehindert im öffentlichen Raum ausgelebt werden“ (Freie Wähler 2023, 1 f.).
Demokratie
Viele Organisationen, die sich kritisch mit Self-ID-Gesetzen auseinandergesetzt haben, sehen darin eine weitreichende Schädigung der Demokratie, welche einige an der Rechtsstaatlichkeit der Vorgänge zweifeln lassen. Im Folgenden eine Auswahl:
- „Das beabsichtigte Gesetz untergräbt damit das Vertrauen der Gesellschaft in die Gültigkeit der Wirklichkeit für Gesetz und Rechtsprechung grundlegend“ (Feministische Partei 2023, 1 f.).
- „Die Ministerien, die für den Referentenentwurf verantwortlich zeichnen, versuchen dies (…) unter dem Radar der Öffentlichkeit durchzusetzen, und das in einer die Demokratie beschädigenden Weise (Geschlecht zählt 2023, 3).
- „Eine Umsetzung des SBGG (…) hat totalitäre Züge und widerspricht somit grundlegenden demokratischen Prinzipien“ (Lasst Frauen Sprechen 2023, 3).
- „Der Entwurf ist einseitig geprägt von Interessen der queeren Transideologie (…). Er trägt (…) dazu bei, die Gesellschaft zu spalten“ Safia 2023, 3.
- „Entgegen demokratischer Werte werden durch das Gesetz Hindernisse errichtet. (…). Der Versuch, Feministinnen als Fanatikerinnen zu stigmatisieren, oder sie mit rechter anti-gender Politik in Verbindung zu bringen, ist eine arglistige Taktik, die öffentliche Debatte zu stoppen“ (radfem kollektiv 2023, 2).
- „Ihr Vorhaben, dieses Gesetz umzusetzen, ist demokratiegefährdend (…), da es (…) die trans-queere Gewalt gegenüber Lesben weiter befördert. (…). Dieses Gesetz ist eine Schande für die Demokratie und eine Schande für Sie, an die sich noch lange erinnert werden wird“ (The Real Dyke March 2023, 1).
Moderne Gesellschaft angekündigt und Rückschritt geliefert – eine Schlussbetrachtung
Die Stellungnahmen der 25 Organisationen legen den Schluss nahe, dass das SBGG nicht der richtige Weg ist, um eine moderne Gesellschaft, wie es die Familienministerin versprach, zu bauen. Die Stellungnahmen weisen darauf hin, dass das SBGG „rückschrittliches Denken und Handeln“ zementiere, alte Rollenklischees verstärke und Rechte von Mädchen und Frauen beschneide (Safia 2023, 1 f.). Die Idee, Geschlechtsidentität als juristischen Ersatz für Geschlecht einzuführen, wird als „reaktionäre Idee“ (FrauenLesbenNetz 2023, 1) und als „wahrheitswidrig“ analysiert, da es die „faktische Realität eines biologischen Geschlechts“ durch eine „Fiktion“ ersetze (Sisters 2023, 1). Das SBGG wird im Grunde als ein „Fremdbestimmungsgesetz“ wahrgenommen, welches das Recht auf Meinungs‑, Rede‑, Presse‑, sowie Wissenschafts- und Glaubensfreiheit beschneide (WDI 2023, 3). Es sei „ein Instrument der Repression durch den Staat“ (DGR 2023, 2) und stehe in „keiner Weise mit politischen Ideen der Befreiung“ in Verbindung (D&A 2023, 4). Es wird kritisiert, weil es „unausgegoren, widersprüchlich und unnötig“ (Fam 2023, 3) sei und einer „komplexen Rechtsfolgenabschätzung“ (Landesfrauenrat 2023,1) bedürfe.
Der gesellschaftliche Diskussionsprozess befindet sich erst am Anfang. Es bleibt abzuwarten, wie sich die umfassende Kritik aus der Zivilgesellschaft auf die politisch Verantwortlichen auswirken wird. Eine Organisation formuliert abschließend ihre Erwartungen an die Abgeordneten: „Wir können nur hoffen, dass Sie Ihrer Pflicht als gesetzgeberisch handelnde Personen in einer freiheitlichen Demokratie und einem Rechtsstaat nachkommen und sich ernsthaft und konstruktiv mit unseren Bedenken wie auch mit den Argumenten der sicher zahlreich eintreffenden Stellungnahmen anderer besorgter Frauen/Lesben auseinandersetzen und dieses voll umfänglich bei Ihren Entscheidungen berücksichtigen. Mit freundlichen Grüßen“ (Safia 2023, 3).
Anhang
Links zu den 25 Stellungnahmen
- Arbeitskreis Geschlechtsbasierte Rechte der Frau (2023): Stellungnahme. https://lasst-frauen-sprechen.de/wp-content/uploads/2023/06/20230529_Stellungnahme_AK-GRF_Referentenentwurf_anonym.pdf
- Deep Green Resistance (2023): Stellungnahme. https://lasst-frauen-sprechen.de/wp-content/uploads/2023/06/DGR_Stellungnahme.pdf
- Discussion & Action (2023): Stellungnahme. https://lasst-frauen-sprechen.de/wp-content/uploads/2023/06/DA-Selbstbestimmungsgesetz-2023.pdf
- Europäische Gesellschaft für Geschlechtergerechtigkeit e.V. (2023): Stellungnahme. https://www.eggoe.at/stellungnahme-egg-zum-selbstbestimmungsgesetz/
- Fachtagung Frauenrechte (2023): Stellungnahme. https://lasst-frauen-sprechen.de/wp-content/uploads/2023/06/Stellungsnahme_zum_Entwurf_fuer_das_Selbstbestimmungsgesetz_von_Fachtagung.pdf
- Feministische Partei DIE FRAUEN (2023): Stellungnahme. https://lasst-frauen-sprechen.de/wp-content/uploads/2023/06/FemP-Stellungnahme-SBGG.pdf
- Frauen Aktion München (2023): Stellungnahme.
- https://lasst-frauen-sprechen.de/wp-content/uploads/2023/06/SBGG_FAM_Mai_2023.pdf
- FrauenAktionsBündnis (2023): Stellungnahme. https://frauenaktionsbuendnis.de/aktionen/stellungnahme-von-fab-zum-entwurf-des-gesetzes-zur-self-id
- Frauen- und Kinderhaus Uelzen e.V. (2023): Stellungnahme. https://lasst-frauen-sprechen.de/wp-content/uploads/2023/06/Stellungnahme-Frauenhaus_Uelzen.pdf
- Frauenheldinnen e.V. (2023): Stellungnahme. https://www.frauenheldinnen.de/verein/stellungname-selbstbestimmungsgesetz-frauenheldinnen/
- Fraueninitiative WeiberZorn (2023): Stellungnahme. https://lasst-frauen-sprechen.de/wp-content/uploads/2023/06/Fraueninitiative_WeiberZorn_Stellungnahme_RefE_SBGG_2023_05_30_barrierefrei.pdf
- Frauenlandhaus Charlottenberg Kultur- u. Begegnungsstätte für Frauen e.V. (2023): Stellungnahme. https://lasst-frauen-sprechen.de/wp-content/uploads/2023/06/Stellungnahme_LandfrauenhausCharlottenberg.pdf
- FrauenLesbenNetz – Bundesweite Initiative lesbischer Frauen (2023): Stellungnahme. https://lasst-frauen-sprechen.de/wp-content/uploads/2023/06/FRAUENLESBENNETZ-Stellungnahme-zum-RefEntwurf-SBGG.pdf
- FREIE WÄHLER DIE FRAUEN Bayern (2023): Stellungnahme. https://www.freie-waehler-frauen-bayern.de/aktuelles/aktuelles-details/stellungnahme-selbstbestimmungsgesetz
- Geschlecht zählt (2023): Stellungnahme. https://geschlecht-zaehlt.de/stellungnahme-zum-selbstbestimmungsgesetz-entwurf/
- Initiative „Lasst Frauen Sprechen!“ (2023): Stellungnahme. https://lasst-frauen-sprechen.de/stellungnahme-zum-referentenentwurf-fuer-ein-selbstbestimmungsgesetz/
- Landesfrauenrat Baden-Württemberg (2023): Stellungnahme.
- https://www.lfrbw.de/2023/06/stellungnahme-des-landesfrauenrates-baden-wuerttemberg-zum-referentenentwurf-des-selbstbestimmungsgesetzes-der-bundesregierung/
- Lesbisches Aktionszentrum LAZ reloaded e.V. (2023): Stellungnahme. https://www.laz-reloaded.de/stellungnahme-lesbisches-aktionszentrum-laz-reloaded-e-v-zumreferentenentwurf-des-bundesministeriums-fuer-familie-senioren-frauen-undjugend-und-des-bundesministeriums-der-justiz-vom-09-mai-2023/
- LGB Alliance e.V. Deutschland (2023): Stellungnahme. https://lgballiance.de/2023/06/01/der-gesetzentwurf-zum-selbstbestimmungsgesetz-ist-grundgesetzwidrig/
- Netzwerk „Starke Themen“ (2023): Stellungnahme. https://www.starkethemen.de/
- radfem kollektiv berlin (2023): Stellungnahme. https://lasst-frauen-sprechen.de/wp-content/uploads/2023/06/Radfem_Response_to_SBGG_2023_german_translation_RadFem_Kollektiv.pdf
- SAFIA e.V. Lesben gestalten ihr Alter (2023): Stellungnahme.
- https://lasst-frauen-sprechen.de/wp-content/uploads/2023/06/Referentenentwurf-Stellungnahme-Safia-zum-30.-Mai-2023.pdf
- SISTERS – für den Ausstieg aus der Prostitution! e.V. (2023): Stellungnahme. https://lasst-frauen-sprechen.de/wp-content/uploads/2023/06/Sisters-Stellungnahme-SBGG.pdf
- The Real Dyke March (2023): Stellungnahme. https://lasst-frauen-sprechen.de/wp-content/uploads/2023/06/TheRealDykeMarch_kurze_Stllungnahme_SBGG‑2.pdf
- Women’s Declaration International Deutschland (2023): Stellungnahme.
- https://lasst-frauen-sprechen.de/wp-content/uploads/2023/06/WDI-Stellungnahme-zum-SBGG.pdf
Endnoten
[i] https://www.bmfsfj.de/resource/blob/229616/b4f835d1a1da28f1ef51552846f1e20a/gesetzentwurf-kabinett-data.pdf
[ii] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/bundeskabinett-beschliesst-den-entwurf-zum-selbstbestimmungsgesetz–229610
[iii] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/eckpunkte-fuer-das-selbstbestimmungsgesetz-vorgestellt-199378.
[iv] https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/197/1919755.pdf;
https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/200/1920048.pdf;
[v] https://www.bundestag.de/resource/blob/870238/cf3d58c538b983e957d459ec6c7baee9/koalitionsvertrag-data.pdf, S. 119.
[vi] https://www.wir-sind-frau.de/positionspapier/;
http://lgballiance.de/2021/11/27/stellungnahme-zum-koalitionsvertrag/
[vii] https://www.maenner.media/gesellschaft/community/terfs-lft-lesben-bremen/
https://www.queer.de/detail.php?article_id=38693
[viii] https://www.bmfsfj.de/resource/blob/224548/4d24ff0698216058eb758ada5c84bd90/entwurf-selbstbestimmungsgesetz-data.pdf
[ix] https://lasst-frauen-sprechen.de
[x] https://lasst-frauen-sprechen.de/kritische-stellungnahmen-zum-referentenentwurf-fuer-ein-selbstbestimmungsgesetz/
[xi] Für die Zitation sind die Organisationsnamen wiedererkennbar gekürzt oder mit ihrem Akronym versehen.
[xii] Vgl. Links zu den Stellungnahmen im Anhang