Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) hat den Bundestag passiert. Dieses Gesetz, das unter anderem die Frauenrechte massiv beschneidet, da mit ihm künftig jeder Mann unabhängig von weiteren Maßnahmen seinen Personenstand in „weiblich“ ändern kann, ist – nicht nur aus diesem Grund – verfassungsrechtlich bedenklich. Der Bundespräsident könnte das Gesetz noch stoppen, indem er es nicht unterschreibt.
Der Verein Lesbisches Aktionszentrum ( LAZ) reloaded e. V. hat unter der Leitung einer seiner Vorständinnen, der Juristin Gunda Schumann, einen Musterbrief an den Bundespräsidenten verfasst, der ihn auffordert, das Gesetz nicht zu unterzeichnen und eine verfassungsrechtliche Prüfung des SBGG zu veranlassen. Der Bundespräsident kann die Unterschrift zu Gesetzen verweigern, die ganz oder in Teilen dem Grundgesetz zuwiderlaufen. Auch wenn es nicht allzu oft vorkommt, dass der oberste Repräsentant des Staats ein Gesetz nicht unterzeichnet, besteht immerhin eine Chance, auf diesem Weg das SBGG doch noch zu stoppen. Dafür müssen möglichst viele an den Bundespräsidenten schreiben. Je mehr Menschen zeigen, dass sie das Gesetz ablehnen, umso wirkungsvoller ist der Protest.
Wir veröffentlichen den Musterbrief von LAZ reloaded e. V. deshalb hier und hängen ihn diesem Artikel auch zum Download an. Ihr könnt diese Vorlage nutzen und sie – möglichst als Brief – an den Bundespräsidenten schicken. Je mehr Menschen das tun, umso mehr Nachdruck hat die Aktion. Der Brief sollte bis zum 16. Mai 2024 in Berlin ankommen.
Musterbrief von LAZ reloaded e. V. an den Bundespräsidenten
Das „Selbstbestimmungsgesetz“ (SBGG) ist verfassungswidig
Bitte unterzeichnen Sie das Gesetz nicht
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
am 12. April 2024 hat der Bundestag trotz massiver Kritik von Frauen- und Elterninitiativen sowie vielen Abgeordneten der Oppositionsparteien das sog. Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) verabschiedet. Ich bitte Sie in Ihrer Eigenschaft als Bundespräsident mit der Ihrem Amt innewohnenden verfassungsrechtlichen Prüfkompetenz das Gesetz nicht zu unterzeichnen.
Nach dem SBGG wird Geschlecht trotz der rechtlich ungesicherten und naturwissenschaftlich unhaltbaren Ausgangsposition mit „Geschlechtsidentität“ gleichgesetzt, indem die gesetzlichen Hürden für den jährlich möglichen Wechsel des Geschlechtseintrags für jedefrau und jedermann mit einer behaupteten „abweichenden Geschlechtsidentität“ beseitigt werden.
Dies impliziert:
- Die Verwendung der kaum abgrenzbaren unbestimmten Rechtsbegriffe „Geschlechts-identität“ und „nichtbinär“ für eine beliebige Änderung des Geschlechtseintrages im Personenstandsregister verstößt gegen die rechtsstaatlichen Grundsätze der Normenbestimmtheit und Normenklarheit und hat damit Missbrauchspotential.
Die absehbaren Folgen für Frauen sowie Eingriffe in die Rechte von Eltern und die drakonischen Bußgeldandrohungen für alle bei Verletzung des Offenbarungsverbots sind gravierend:
- Der Geschlechtseintrag im Personenstandsregister verliert seine Beweisfunktion. Damit wird die Durchsetzung geschlechtsbasierter Rechte von Frauen und Mädchen nach Art. 3 Abs. (2) Grundgesetz erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht:
- Die vorgesehenen Regelungen für geschlechtsspezifische Räume und gesellschaftliche Teilhabe von Frauen und Mädchen (Hausrecht, Länderkompetenz, Strafrecht, private Satzungshoheit) sind für deren Schutz und gesellschaftliche Teilhabe ungeeignet.
- Rechte für Frauen bei der Besetzung von quotierten Stellen im Berufsleben, z.B. die Positionen der Gleichstellungsbeauftragten, ihrer Stellvertreterinnen und Vertrauensfrauen, sind fortan mit biologischen Männern zu teilen, welche einen weiblichen Geschlechtseintrag im Personenstandsregister haben.
- Das Gleichberechtigungsgebot und der besondere Diskriminierungsschutz nach Art. 3 Abs. (2) und (3) GG werden ausgehöhlt, indem es auf Männer mit „weiblicher Geschlechtsidentität“ ausgeweitet wird.
- Statistiken über die Verteilung der biologischen Geschlechter werden unbrauchbar, zumindest erheblich verzerrt. Außerdem werden auf der Statistik beruhende Prognosen, Gutachten und Maßnahmen gegen Diskriminierung erschwert oder unmöglich gemacht.
- Elternrechte nach Art. 6 Abs. (2) Satz 1 GG und das Kindeswohl werden verletzt:
- Die Ersetzung der Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern zum Antrag auf Änderung des Geschlechtseintrags einer/eines Minderjährigen ab 14 Jahren durch das Familiengericht ohne zwingende Einholung zweier jugendpsychiatrischer Gutachten schränkt das Elternrecht nach Art. 6 Abs. (2) Satz 1 GG unverhältnismäßig ein und verstößt gegen das Kindeswohl.
- Die vom Geschlechtseintrag abhängige Bestimmung der „Vaterrolle“ in § 1592 Nr. 1 und 2 BGB verstößt gegen die rechtsstaatlichen Prinzipien der Normenwahrheit und Normenklarheit und gegen das Kindeswohl.
- Sanktionsbewehrtes Offenbarungsverbot
- Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. (1) Satz 1 und 2 GG) werden unverhältnismäßig beschnitten.
- Die Ausnahmen vom Offenbarungsverbot sind im Einzelnen nicht immer nachvollziehbar und verstoßen gegen die rechtsstaatlichen Prinzipien der Normenwahrheit und Normenklarheit.
- Tatbestandliche Unklarheiten bei offenkundigem Augenschein (Hausrecht, Meinungsäußerung) verstoßen gegen die rechtsstaatlichen Prinzipien der Normenwahrheit und Normenklarheit und, da sie besonders zu Lasten der Frauen gehen, gegen Art. 3 Abs. (2), Abs. (3) und Art. 5 Abs. (1) GG.
- Der „Chilling-Effekt“ (Abschreckungseffekt) der staatlichen Maßnahme einer hohen Bußgeldbewehrung führt zu Selbstzensur, Einschüchterung und zu konformistischem Verhalten. Diese ist mit Art. 5 Abs. (1) GG nicht vereinbar, weil sie einen Angriff auf die Demokratie darstellt.
- Der Abruf sowie der Austausch der nach dem Geschlechtseintragswechsel geänderten Daten zwischen Behörden und die Information namentlich genannter Sicherheitsbehörden waren als Ausnahme vom Offenbarungsverbot gedacht. Diese Regelung wurde durch den Änderungsantrag des Familienausschusses wieder gestrichen. Missbrauch durch Identitätsverschleierung ist damit ohne weiteres möglich.
- Der Abruf sowie der Austausch der nach dem Geschlechtseintragswechsel geänderten Daten zwischen Behörden und die Information namentlich genannter Sicherheitsbehörden waren als Ausnahme vom Offenbarungsverbot gedacht. Diese Regelung wurde durch den Änderungsantrag des Familienausschusses wieder gestrichen. Missbrauch durch Identitätsverschleierung ist damit ohne weiteres möglich.
Zur Vermeidung von Grundrechtskollisionen von Rechten für Personen mit abweichender Geschlechtsidentität (Art. 2 Abs. (1) i.V.m. Art. 1 Abs. (1)) und denen von Frauen, Mädchen und Eltern (Art. 3 Abs. (2), (3) und Art. 6 Abs. (2) GG) ist der Gesetzgeber verpflichtet, nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz einen Ausgleich der widerstreitenden Grundrechte zu schaffen und die Austragung möglicher Konflikte nicht „dem freien Spiel der Kräfte“, d.h., den Rechtsverhältnissen der BürgerInnen untereinander – und letztendlich der Justiz – zu überlassen.
Um Art. 3 Abs. (2) GG eine maximale Wirkung zu verschaffen, wäre es erforderlich, die Validität des Geschlechtseintrags zum Schutz von Frauen und Mädchen durch Beibehaltung des rechtsgestaltenden Verfahrens nach § 4 Abs. 3 TSG aufrechtzuerhalten und garantierte und angemessene Ausnahmeregelungen für Frauen zur Gewährleistung von autonomen und Schutzräumen, zur beruflichen Förderung und zur gesellschaftlichen Teilhabe zu schaffen.
All das hat der Gesetzgeber unterlassen. Gesetzgeberisches Untätigbleiben verstößt zudem gegen das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratiegebot.
Aus diesen Gründen bitte ich Sie dringend, dieses verfassungswidrige Gesetz nicht zu unterzeichnen.
Weitere Gründe für die Verfassungswidrigkeit sind in dem Rechtsgutachten von Rechtsanwältin Gunda Schumann, M.C.J., LL.M., erläutert, welches während der Verbändeanhörung auch auf der Website des BMFSFJ gelistet war. Sie können das Gutachten und Erläuterungen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 23.08.2023 sowie der aktuellen Änderungsvorschläge des Familienausschusses vom 10.04.2024 hier [1], bzw. hier [2] abrufen.
Hochachtungsvoll,
[Vorname, Name]
[1] https://www.bmfsfj.de/resource/blob/227180/c223f114874cb13b5ab5e96ee4baae82/laz-data.pdf
[2] https://www.laz-reloaded.de/der-letzte-coup-verschaerfende-und-verschleiernde-aenderungen-des-sbgg/
Adresse des Bundespräsidialamts
Die Adresse, an die der Brief geschickt werden muss:
An den Bundespräsidenten
Herrn Dr. Frank-Walter Steinmeier
Schloss Bellevue Spreeweg 1
10557 Berlin
Download des Musterbriefs von LAZ reloaded e. V.
Und hier könnt ihr euch den Musterbrief (einschließlich Adresse) als Word-Datei herunterladen. Ihr müsst nur noch eure eigenen Kontaktdaten einfügen und den Brief unterzeichnen.